
© Stefanie Hanssen
Feierstunde auf Vinyl: Als der Tagesspiegel 25 Jahre alt wurde
1970 beging der Tagesspiegel das erste Vierteljahrhundert seines Bestehens mit einer „Feierstunde“. Es gab sogar die Uraufführung einer Auftragskompositition – davon existiert eine Langspielplatte.
Stand:
Mein Kollege Jörg Wunder ist der größte Vinyl-Aficionado, den ich kenne. Schallplatten sind für ihn schwarzes Gold, jedes Wochenende ist er unterwegs, um nach besonderen Schätzen zu fahnden. Neulich präsentierte er der Redaktion ein bemerkenswertes Fundstück: nämlich den Mitschnitt einer „Feierstunde“, die der Tagesspiegel am 27. September 1970 in der Berliner Kongresshalle ausgerichtet hatte. Für sich selbst, um das erste Vierteljahrhundert seines Bestehens zu würdigen.
In schriller Seventies-Optik prangt eine dicke 25 auf dem Cover, wer noch einen Plattenspieler hat, kann sich die Rede des damaligen Regierenden Bürgermeisters Klaus Schütz anhören – der die „Fairness“ und die „journalistische Sorgfalt“ der Redaktion hervorhebt und auch nicht vergisst, daran zu erinnern, dass der Bau der Berliner Philharmonie letztlich einer Tagesspiegel-Initiative zu verdanken ist.
Der Regierende findet lobende Worte
Ebenso kann man den Worten des legendären Herausgebers Franz Karl Maier lauschen, der nicht müde wird, „Unabhängigkeit“ und „freies Denken“ als höchstes Gut des Journalismus zu beschwören. Richtig spannend aber wurde es für mich auf der B-Seite – denn der Tagesspiegel hatte zu dem freudigen Ereignis tatsächlich eine Komposition in Auftrag gegeben.
Bei dem damals noch unbekannten Nikos Mamangakis – laut Plattenhülle Jahrgang 1929, Grieche und Schüler von Carl Orff–, der später den Soundtrack für Edgar Reitz‘ „Heimat“-Trilogie liefern sollte. Für den Tagesspiegel schrieb er damals ein Werk für Tonband, das von „Saus und Braus der Zeit“ kündet, wie es Kulturredakteur Hans Scholz formulierte, in einer „Feuilletonistischen Etüde“, die es ebenfalls auf die LP geschafft hat.
Bei Scholz gibt es jede Menge Wortspiel-Geklingel und bildungsprahlerische Humorigkeit, bei Mamangakis dagegen hört man Großstadtlärm, Maschinengeratter, Detonationen und Wortfetzen, ein Martinshorn heult, Türen fallen krachend ins Schloss, Telefone klingeln ins Leere – und am Ende verbreitet Händels Feuerwerksmusik – technisch absichtsvoll verzerrt – fragwürdige Festlichkeit.
In diesem September steht bereits der 80. Geburtstag des gründlich gewandelten Tagesspiegels an. Vielleicht komponiert ja dann die KI unserem Blatt ein Ständchen.
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