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Kultur: Am Anfang war das Unbehagen

Aufgeschreckt durch den lieblosen Umgang mit dem architektonischen Erbe der klassischen Moderne in Berlin, initiierte der zu Beginn der sechziger Jahre der damalige Feuilletonchef des Tagesspiegel, Wolf Jobst Siedler, eine Artikelserie über das neue Bauen der Nachkriegszeit in West-Berlin. Zwischen 1961 und 1965 brachte es die Reihe „Vorbildliches im Berliner Stadtbild“ auf immerhin 49 Beiträge.

Aufgeschreckt durch den lieblosen Umgang mit dem architektonischen Erbe der klassischen Moderne in Berlin, initiierte der zu Beginn der sechziger Jahre der damalige Feuilletonchef des Tagesspiegel, Wolf Jobst Siedler, eine Artikelserie über das neue Bauen der Nachkriegszeit in West-Berlin. Zwischen 1961 und 1965 brachte es die Reihe „Vorbildliches im Berliner Stadtbild“ auf immerhin 49 Beiträge. Ausgewählt wurden die Bauten von einer Jury, der Hans Scharoun, der Landschaftsarchitekt Walter Rossow und der Sekretär der Abteilung Baukunst der Akademie der Künste, Peter Pfankuch, angehörten.

Unbehagen am lieblosen Umgang mit den Berliner Bauten der Nachkriegsmoderne veranlasste jetzt den Deutschen Werkbund Berlin, die Tagesspiegel-Serie aus dem Dunkel der Archive hervorzuholen und in seiner Galerie auszustellen: Zwischen farbigen Pappdeckeln gilt es Altvertrautes, aber auch etliches Unbekanntes wiederzuentdecken. Eine Auswahl der vorgestellten Bauten wird zudem von aktuellen Fotos, kurzen Zustandbeschreibungen und Lageplänen begleitet, die das Auffinden im Stadtbild erleichtern.

Gestaltet hat die schöne kleine Ausstellung der Berliner Grafik-Altmeister Rudolf J. Schmitt. Und da nicht nur die puren Architekturkritiken präsentiert werden, sondern jeweils die ganze Seite aus dem Tagesspiegel nachzulesen ist, kann man trefflich in das Berliner Kulturleben der noch etwas hölzern daherkommenden frühen swinging sixties eintauchen.

Dabei ist es erstaunlich, wie frisch die meisten der Neubauten von damals trotz Patina und gelegentlich mangelnder Pflege noch heute wirken – zumindest, was ihre Entwurfsidee betrifft. Das gilt für Fritz Bornemanns Freie Volksbühne und sein Opernhaus etwa, die Charlottenburger Sporthalle von Ludwig Leo und Walter Hötzel oder Leos Kindertagesstätte im gleichen Bezirk, aber auch für die schönen Hofhäuser des Bauhausschülers Eduard Ludwig im Hansaviertel. Das Vorbildliche im Stadtbild war zugleich ein Stück gebauter Aufbruchstimmung. Und es wäre nicht schwer, die damalige Serie heute um weitere Bauten auf hohem Niveau zu ergänzen. So schlecht, wie sie mittlerweile geredet wird, war die Berliner Nachkriegsmoderne durchaus nicht.

Ganz nebenbei bietet diese Ausstellung außerdem einen aufschlussreichen Blick auf die Architekturkritik vor vierzig Jahren, die sich in ihren Beiträgen mal grundsätzlich, mal didaktisch und mal poetisch gab – in jedem Fall aber als höchst lesenswert erweist. So versteht sich diese Präsentation in der Werkbundgalerie als ein erster Schritt, um das Unbehagen am Umgang mit dem Berliner Bauerbe der Nachkriegszeit zu artikulieren, und sie regt an, das Vorbildliche im Stadtbild unserer Gegenwart wiederzuentdecken. Jürgen Tietz

Vorbildliches im Berliner Stadtbild. Werkbundgalerie, Goethestraße 13. Vom 26. Juli bis 14. August und vom 28. August bis zum 13. September.

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