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Kultur: „Amerika ist noch nicht merkelig genug“

Nach dem Wasser kommt das Eis: „Poseidon“-Regisseur Wolfgang Petersen über Klinsmann, Bush und Katastrophen

Herr Petersen, die Nation spricht gerade über einen anderen deutschen Wahlkalifornier. Was sagen Sie zu Klinsmanns Rücktritt?

Bei der Berliner „Poseidon“-Premiere am Dienstag habe ich noch angeboten, ich könne ja gewissermaßen als Nachbar mal ein Wort mit ihm darüber reden, dass er sich dieser gesamtdeutschen Liebeserklärung nicht entziehen kann. Tja, nun ist es anders gekommen.

Können Sie ihn verstehen?

Ich glaube schon. Allerdings sind wir uns nie begegnet, das Showbusiness und die Sportler-Community, das sind eher getrennte Kreise. Ich würde solche Sachen übrigens auch mit meiner Frau besprechen. Vielleicht hatte er ja das Gefühl, er müsse aufhören, weil es gerade am schönsten ist. Manchmal entscheiden Menschen so: Dieser Erfolg ist nicht mehr zu toppen, die Leute sollen mich in guter Erinnerung behalten.

Wie haben Sie die WM erlebt, vor allem den neuen sanften Patriotismus?

Ich habe die Spiele in den USA aufmerksam verfolgt und konnte das Endspiel auf Einladung von Klaus Wowereit sogar im Olympiastadion sehen. Der neue Patriotismus verzückt mich. Die Ausländer finden es toll, dass ein Ausatmen durch dieses Land geht. Es gab da immer diese Verklemmung und Ernsthaftigkeit, eine gewisse Angst. Das fing beim Rumpelfußball an: hinten zubetonieren, reingrätschen, umhacken und bloß keine großen Risiken eingehen! Da gab es nichts künstlerisch Schönes, man spielte zweckmäßig, berechnend, hart. Und jetzt sind da diese jungen Spieler mit ihrem herzerfrischend offensiven, riskanten Fußball und einem gut aussehenden jungen Trainer, der die Mannschaft anfeuert: Hoppla, jetzt sind wir da! Mit dieser neuen deutschen Spielweise geht ein neues deutsches Image einher: lauter lachende Gesichter und tanzende Menschen. Die Welt ist erleichtert, dass Deutschland doch nicht so ein heavy Volk ist.

Als Sie den US-patriotischen Film „Air Force One“ drehten, haben Sie sich über den mangelnden Patriotismus der Deutschen beklagt. Warum braucht eine Nation eine gesunde Portion Patriotismus?

Der Zusatz „gesund“ ist wichtig. Der Stolz auf das, was man ist, verhindert, dass man sich als minderwertig empfindet und aus diesem Gefühl heraus einen gefährlich ungesunden Patriotismus entwickelt: eben das, womit Hitler nach Versailles und den Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg erfolgreich war.

Patriotismus befördert Toleranz?

Natürlich. Wir sind nicht Weltmeister geworden, aber die Welt danach trotzdem in Ordnung. Es gab keine Aggression, keine Deutschen, die die Italiener im Suff verprügelten. Das liegt an der neuen Selbstsicherheit. Wir freuen uns darüber, dass wir einen wunderschönen dritten Platz erspielt haben. Ich glaube, dass die deutsche Elf, die zu Beginn der WM wahrscheinlich die unbeliebteste Mannschaft war, jetzt die weltweit beliebteste ist – obwohl Deutschland im Ausland nicht sehr beliebt ist.

„Poseidon“ ist in Amerika gefloppt. Sind Sie, wie eine Zeitung schreibt, so enttäuscht, dass Sie aus Kalifornien nach Deutschland zurückkehren wollen?

Nein. Als der Film vor vier Wochen in Amerika startete und deutlich unter unserer Erwartung blieb, war ich schon sehr enttäuscht. Aber mit etwas Abstand sehe ich das anders. Zwölf Jahre, von „In The Line Of Fire“ bis zu „Troja“, war jeder meiner Filme ein Hit und erfolgreicher als der davor. Mal ehrlich, das konnte einfach nicht so weitergehen! Zwar läuft „Poseidon“ international besser, aber der Knick in der Kurve ist da. Und das ist gut so, weil es den Druck der permanenten Blockbuster-Steigerung wegnimmt, immer noch größere Filme machen zu müssen.

Denken Sie über eine Kehrtwende nach?

Ja, ich kann zum Beispiel darüber nachdenken, einmal wieder in Europa zu drehen. Es gibt erste Gespräche. Aber das bedeutet keinesfalls, dass ich Amerika verlassen will. Obwohl ich kein Bush-Fan bin und ich mich im Clinton-Amerika wohler gefühlt habe.

Vor zwei Jahren sagten Sie, der amerikanische Patriotismus, für den Sie große Sympathien hegten, habe seine Unschuld verloren, wegen des Irakkriegs.

Absolut. Die Stimmung in Amerika ist nicht gut, die Bevölkerung mag es nicht mehr, wie Bush und seine Administration das Gesicht zu wahren versuchen. Seine Umfragen sind miserabel, und alle hoffen auf einen neuen Präsidenten in eineinhalb Jahren. Wobei ich nicht glaube, dass Hillary Clinton es schaffen wird, weil die Amerikaner für eine Frau an der Spitze noch nicht bereit sind. Amerika ist noch nicht merkelig genug.

Sie sprachen eben von Leuten, die aufhören, wenn es am schönsten ist. Was sind Sie für ein Typ beim Umgang mit Erfolgen und Misserfolgen?

Die Frage stellt sich insofern anders, als ich nur eins wirklich kann, nämlich Filmemachen. Das ist ein Plus, aber auch ein Minus. Ich wüsste gar nicht, was ich bei anhaltendem Misserfolg anderes tun sollte. Außer vielleicht Schreiben, irgendwann im höchsten Alter. Ich bin außerdem sehr ehrgeizig, auch das ist nicht unbedingt immer etwas Positives. Anders als Klinsmann bin ich nicht in der Lage, von meinen Erfolgen zu zehren. There’s always another island further on.

Nach dem 11. September sagten Sie, mit den Terroranschlägen gebe es eine neue Definition des Bösen. „Poseidon“ ist Ihr dritter Wasserfilm, der Schurke ist wieder die Natur, das Meer. Geht die Reise jetzt eher in Richtung menschliche Tragödien?

Wenn ich jetzt meine Seele erkunde, stelle ich mir genau diese Fragen: Vielleicht ist es an der Zeit, sich mehr den Charakteren und dem Drama des Menschen zu widmen und sich nicht von der Technik überrollen zu lassen. Wobei ich mich schwer tun würde, reale Katastrophen zu verfilmen, ich ziehe die Fiktion vor. „United 93“ hat das Publikum ja auch nicht angenommen, vielleicht ist es einfach noch zu früh, den 11. September zum Spielfilm zu machen. Wie lange dauerte es, bis es schlüssige Vietnam-Filme gab!

Und welcher Stoff schwebt Ihnen vor?

Es gibt nach wie vor „Endurance“-Projekt, die Verfilmung der Antarktisexpedition von Robert Shackleton.

Aber da geht es wieder um Naturgewalten!

Genau das lässt die großen Studios zögern: Es wäre wieder sehr teuer, es gibt wieder keinen menschlichen Schurken, wie in „Das Boot“ keine Frauen, und die Männer sind eingemummt. Man sieht nur ihre Nasenspitzen.

Und es wäre Ihr vierter Wasserfilm.

Nein, meine Wassertrilogie ist abgeschlossen. „Endurance“ wäre der Beginn meiner Eistrilogie.

Das Gespräch führte Christiane Peitz.

Wolfgang Petersen (65) ist in Emden geboren und lebt seit 1987 als Regisseur („Das Boot“, „Der Sturm“, „Troja“) in

Hollywood. „Poseidon“ startete gestern in Deutschland.

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