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Sängerin Amy Taylor mit ihrer Band Amyl and the Sniffers bei einem Auftritt in Portugal in diesem Jahr.

© IMAGO/ZUMA Press Wire/IMAGO/Diogo Baptista

Amyl and the Sniffers in Berlin: Welch bizarre Welt, in der wir leben

Freude und Wut, rohe Energie und Systemkritik stehen beim Konzert der australischen Punk-Queen in der Columbiahalle nebeneinander.

Stand:

Subtilität ist nicht so sehr Amy Taylors Ding. „You’re a dumb cunt, you’re an asshole“ lauten ihre ersten Worte auf „Cartoon Darkness“, dem neuen, dritten Album von Amyl and the Sniffers. Auch das zu diesem Song „Jerkin’“ gehörende Musikvideo gibt sich wenig diskret. Es ist wegen zahlreicher zu sehender Genitalien in unzensierter Version nur auf der Website der Punkband zu finden – ein Statement für konsequente Selbstbestimmung über den eigenen Körper und in typischer Amyl-and-the-Sniffers-Manier ein mit viel Humor ausgestreckter Mittelfinger an das Patriarchat.

Dementsprechend hält sich Amy an diesem Samstagabend auch nicht mit langen Reden auf, als sie, ein wenig Bier verschüttend und breit grinsend, die Bühne in der Berliner Columbiahalle betritt. Kurz und knackig macht sie klar: „Wenn jemand hinfällt, hebt sie wieder auf. Und fasst bloß niemanden an“, denn: „You surely don’t want to be fucking touched“. Und los geht’s.

Beginnend mit „Doing in Me Head“ und „Maggot“ spielt die Band einen Brecher nach dem anderen in schneller Abfolge. Bierbecher fliegen durch den Raum, es ist kaum auszumachen, wo der Moshpit anfängt und wo er aufhört. Die rohe Energie der Sniffers und der australischen Queen of Punk ist bemerkenswert.

Im Herzen Rock’n’Roller

Wie ein hyperaktives Energiebündel springt Amy Taylor headbangend über die Bühne. Ihre Bewegungen und Tanzeinlagen scheinen spontan, beinahe animalisch: Mal hüpft sie auf und ab und freut sich wie ein kleines Kind, mal rollt sie mit den Augen, zieht Grimassen und spuckt auf den Boden. Sie reckt die Faust, spannt ihre Muskeln an wie eine Preisboxerin, streckt die Zunge heraus und schlägt im nächsten Moment so eine Art Purzelbaum. Ihre Ansagen beschränken sich, zumindest in der ersten Hälfte des Sets, auf Ausdrücke wie „Bbbrrrrrraaaa“ und „Yeeeeeaaaaah“.

2016 haben Amyl and the Sniffers im australischen Melbourne ihre erste EP aufgenommen. Ihr 2019 über Rough Trade veröffentlichtes, selbstbetiteltes Debütalbum zog bereits einiges Interesse auf sich, genau wie ihr fantastisches Zweitwerk „Comfort to Me“ von 2021, das einige ihrer erfolgreichsten Songs wie „Hertz“ und „Guided by Angels“ enthält. Es folgten Supportshows für Größen wie Green Day, Weezer, die Smashing Pumpkins oder die Foo Fighters.

Obwohl Amyl and the Sniffers auf den ersten Blick klassischen Punkrock machen, wird ihre Musik immer wieder auch als Pub Rock betitelt. Diese dezidiert australische Spielart von harter Rockmusik entstand in den 1970ern in den Live-Clubs von Sidney und Melbourne und lässt im Kern noch deutlichere Bezüge zu Rock’n’Roll und Blues erkennen. Ihre bekanntesten Vertreter sind vermutlich AC/DC. Genau wie deren größte Klassiker bestehen die Stücke der Sniffers im Grunde aus den immer gleichen Zutaten: ein paar Powerchords, ein verzerrter, unheimlich lauter Bass und vor allem ein markantes Gitarrenriff.

Diese absurde Dunkelheit

Doch, und das wird auch an diesem Abend in der Columbiahalle deutlich, trotz der ähnlichen Grundstruktur ist jeder Song von Amyl and the Sniffers einzigartig. Johlend erkennen die Fans die Hits schon nach wenigen Takten. Die Band hat auf der Bühne allem Anschein nach mindestens genauso viel Spaß wie das Publikum, doch im weiteren Verlauf des Abends wird Amy bei ihren Ansagen auch mal ernster.

So zum Beispiel, als sie die Bedeutung hinter dem Albumtitel „Cartoon Darkness“ erklärt: Diese surreale, comichafte Dunkelheit zeige sich „right there in our pockets“ – wo Bilder aus Gaza und der Ukraine neben Rezepten für Pickled Onions und Donald Trump neben Pumpkin Spiced Lattes stehen, alles garniert mit ein bisschen Klimakrise on top. Die Zukunft erscheine unweigerlich düster, gleichzeitig kaum greifbar. „It’s all so fucking weird“, fasst Amy unsere Gegenwart, diese absurdeste aller Dystopien, ziemlich akkurat zusammen.

Nicht, dass sie eine Lösung hätte für diese Zustände – außer Haltung zu zeigen und der Wut auf das fucked up System lauthals Ausdruck zu verleihen. Für knappe 90 Minuten wurde diese Strategie am Samstag kollektiv verfolgt. Und wer sich möglichst bald wieder von Amy Taylors roher Punk-Energie trösten lassen will: Am 25. Juni 2025 spielen Amyl and the Sniffers in der Zitadelle Spandau.

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