
© Sinje Hasheider
Antigone und die Frauenproteste: Die berühmteste Aufrührerin der Geschichte
Für ein junges Publikum: „Antigones Vermächtnis“ im Theater in der Parkaue feiert den Geist des Ungehorsams.
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Wer den Namen kennen will, der kennt ihn jetzt, überall auf der Welt: Ahoo Daryayi. So heißt die Studentin, die vor ein paar Tagen in Teheran zu sehen war, wie sie nur in Unterwäsche durch die Straßen lief.
Nach allem, was man weiß: Aus Protest gegen ein Regime, das sich anmaßt, über den Körper von Frauen verfügen zu können. Als Beweis, dass die Bewegung „Jin, Jiyan, Azadî“, „Frau, Leben, Freiheit“, noch nicht erloschen ist. Und um den Preis der Verhaftung. Das weitere Schicksal von Ahoo Daryayi ist ungewiss. Ob man sich noch in Generationen an ihren Mut erinnern wird?
„Du bist die berühmteste Aufrührerin der Geschichte, dein Name wird durch die Jahrhunderte hallen!“. So zollt auf der Bühne 2 der Parkaue, Berlins jungem Staatstheater, der „Chor der kämpfenden Frauen“ (Birgit Berthold, Caroline Erdmann, Elisabeth Heckel) einer mutigen Frau Respekt.
Gemeint ist hier allerdings Antigone, die Tochter des Ödipus und der Iokaste, die bis zum Äußersten dafür gestritten hat, ihren Bruder Polyneikes beerdigen zu dürfen – gegen einen Erlass von König Kreon, Herrscher von Theben. Es hat bekanntlich kein gutes Ende genommen mit Antigone, sie wurde zum Tode verurteilt und nahm sich das Leben.
„Meine Schwester war das sturste Mädchen aller Zeiten“, sagt Ismene (Nina Niknafs) im Stück „Antigones Vermächtnis“, das die Dramatikerin und Lyrikerin Athena Farrokhzad im Auftrag der Parkaue geschrieben hat. Farrokhzad gibt dem Mythos eine neue Richtung, indem sie die einsame Überlebende ins Zentrum des Geschehens rückt.
Die hadert damit, in die Fußstapfen der scheinbar uneinholbaren Rebellen-Schwester treten zu sollen, der das „Märtyrertum zu Kopf gestiegen“ sei, die unbedingt „eine Legende sein wollte“. Sie fragt auch: „Ist es ehrenvoller, für ein Prinzip zu sterben, als für die zu leben, die man liebt?“.
Ismene muss ihren eigenen Weg zum Widerstand finden – und einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Erbe der Revolte. Es braucht Zeit, bis sie aus dem Schatten Antigones heraustritt und verkündet: „Es gibt keine Strafe, die mich davon abhalten kann, das Richtige zu tun.“ Die Parallelen zu heutigen Protestbewegungen – wie eben Jin, Jiyan, Azadî – ergeben sich von selbst. Die Regisseurin Farnaz Arbabi, Intendantin des Kinder- und Jugendtheaters „Unga Klara“ in Stockholm, inszeniert das Stück auf einer kargen, von Scheinwerfern umstellten Bühne ohne Fingerzeige – vielleicht abgesehen davon, dass ihr Chor der kämpfenden Frauen an einem „Fuck Zeus“-Banner strickt.
Als Stellvertreter des Göttervaters auf Erden verkörpert hier König Kreon ein Patriarchat, dessen übergriffiger Sound wiederum ziemlich gegenwartsnah klingt: „Das Volk braucht meinen Schutz, es muss zu seiner Sicherheit gezüchtigt und überwacht werden“. Denis Pöpping spielt diesen Mann im grauen Anzug, von dem es heißt, er wolle über die Lebenden regieren, indem er über die Toten herrsche. Ein Anspruch auf allumfassende Deutungshoheit, der sich auch in der Konfrontation zwischen Kreon und Antigone formuliert.
Die Verstorbene – gespielt von Theresa Henning – tritt als Wiedergängerin auf und zieht Bilanz: „Ich wusste schon immer, dass ich tot mehr ausrichten würde als lebendig“. „Dieses Mädchen“, ätzt Kreon, „hat niemals gelernt, wo sein Platz ist.“ Die Kränkung, dass jemand, noch dazu eine Frau, es wagen konnte, sich seinem Wort zu widersetzen, nagt an ihm. „Ungeheuer ist viel, doch nichts ist ungeheurer als der Mensch“, weiß der Chor.
„Antigones Vermächtnis“ hat klar einen empowernden Anspruch, es geht um einen Geist des Ungehorsams, der anstecken, um eine Tat, „die sich vervielfältigen soll“. Oder, wie es in dieser starken, klug verdichteten und gespielten Sophokles-Fortschreibung heißt: „Die Welt braucht Antigone als Widerstandssymbol“.
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