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Arabisches Filmfestival in Berlin: Ein Hund namens Rambo
Die junge Generation Filmschaffender im ägyptische Kino ist ein Schwerpunkt bei der 16. Ausgabe des arabischen FIlmfestivals in Berlin. Einblicke aus einem zerrissenen Land.
Stand:
Eine ältere Frau ganz in Schwarz setzt sich auf eine Liege im Behandlungszimmer eines Arztes. „Mein Sohn weigert sich zu sterben“, erklärt sie. Als die Einstellung wechselt, erkennt man, dass noch eine weitere Frau vor seinem Schreibtisch sitzt, eine andere steht neben ihm. Ihre Söhne sind längst tot, verfolgen die Mütter aber bis heute. Aus den Köpfen der Überlebenden sprießt Minze.
Der ägyptische Kameramann Muhammed Hamdy findet in seinem Regiedebüt „Perfumed with Mint“ eindrucksvolle Bilder für die politischen Umbrüche in seinem Land. Eine ganze Generation steckt in einer tiefen Depression – erst der arabische Frühling, dann der Sturz Hosni Mubaraks, der reaktionäre Blacklash mit dem Erstarken der Muslimbrüder und schließlich der Aufstieg Abdel Fatah El-Sisis. In einer Gesellschaft, die wie ein Kaninchen vor der Schlange erstarrt ist, bleiben Haschisch und die Welt der Poesie die einzigen Zuflüchte für die Menschen.
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„Perfumed with Mint“ gehört zu den Highlights der 16. Ausgabe des arabischen Filmfestivals Alfilm, das wie jedes Jahr einen gelungenen Querschnitt durch die aktuelle Filmproduktion im arabischen Kino präsentiert. In diesem Jahr stechen vor allem eine Handvoll ägyptischer Filme hervor, sie finden überzeugende Bilder für die gesellschaftlichen Zustände des Landes.
Ein Crowdpleaser mit Hund
Auch Khaled Mansours „Seeking Haven For Mr. Rambo“ kreist um die Nöte der jüngeren Generation in Ägypten. Der Vermieter will Hassan (Essam Omar), dessen Mutter und den Hund Rambo aus der Wohnung werfen. Als die Mutter den Vermieter verklagt, eskaliert der Konflikt, es beginnt eine Odyssee durch Kairo. Hassan versucht, einen Zufluchtsort für seinen Hund zu finden – und auf der Reise auch sich selbst. Mansours Drama ist ein echter Crowdpleaser und eine Entdeckung des Festivals.
Bassam Mortada wiederum befragt in „Abo Zaabal 89“ die Beziehung zu seinen Eltern. Die Kindheit des Regisseurs stand im Zeichen wiederholter Verhaftungen des Vaters, der in den 1970er und 1980er Jahren Teil der ägyptischen Opposition war. Auf einer Klappleiter sitzend erinnert sich die Mutter des Regisseurs an die Verhaftung im August 1989 und die Folgen für die Familie. „Wenn jemand verhaftet wird, leidet auch seine Familie. Viele verstehen nicht, wie sehr die draußen leiden.“
Aus Gesprächen mit seinen inzwischen getrennt lebenden Eltern und deren Weggefährten ergibt sich ein Bild der Kindheit des Regisseurs, die vom abwesenden Vater im Gefängnis geprägt war, den Konjunkturen der Repression unter der Präsidentschaft Hosni Mubaraks. Die Erinnerungen führen die Komplexität zwischen individueller und kollektiver Biografie vor. „Abo Zaabal 89“ feierte seine Premiere auf dem Cairo Film Festival.
Sichtbarkeit arabischer Filmgeschichte
Seit sich die Festival-Gründer:innen vor fünf Jahren zurückgezogen haben, leiten Pascale Fakhry und Iskandar Ahmad Abdalla Alfilm. Auch sie beweisen jedes Jahr aufs Neue, was für ein Geschenk das Festival in der Berliner Kulturlandschaft ist. Dennoch fällt auf, dass das Profil der Nebenreihe Spotlight seit dem Leitungswechsel zunehmend verwischt.
War die Sektion früher ein wichtiges Standbein des Festivals, um arabische Filmgeschichte sichtbar zu machen, versammeln sich dort heute unter wolkig-diskursiven Titeln (dieses Jahr: „Canceled Futures, Endless Pasts. Speculative Fiction on and Archival Subversions of the (Post)colonial Condition“) vermehrt Filme, die genauso gut auch im Hauptprogramm laufen könnten – ergänzt um einige wenige ältere Produktionen.

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Dieser Verzicht, arabische Filmgeschichte in ihrer ganzen Vielfalt sichtbar zu machen, ist bedauerlich. Historisch im eigentlichen Sinne ist in diesem Jahr nur Mohammed Lakhdar-Haminas algerischer Klassiker „Chronik der Jahre der Glut“, der 1975 als erster arabischer Film die Goldene Palme in Cannes gewann.
Und noch ein weiterer Klassiker lädt zur Wiederbegegnung ein. Vor knapp fünfzehn Jahren nahm sich die Filmwissenschaftlerin Viola Shafik in einer ägyptisch-deutschen Koproduktion „Ali im Paradies“ der Vorgeschichte der bekanntesten Rolle des marokkanischen Schauspielers El Hedi ben Salem an – als „Gastarbeiter“ in Rainer Werner Fassbinders „Angst essen Seele auf“.
In ihrer Spurensuche weist Shafik nach, dass Salem für Fassbinder und seine Mitstreiter vor allem als Projektionsfläche von Interesse war, während ihnen der Mensch weitgehend gleichgültig blieb. Mit ungewöhnlichen Perspektiven wie dieser bleibt Alfilm auch in seinem 16. Jahr ein wichtiger Ort, um dem arabischen Kino und seinen Einflüssen zu begegnen.
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