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Andranic Manet ist Ari. Kinder sind die einzigen Menschen, die noch normal sind, sagt er.

© Geko Films - Blue Monday Productions - ARTE France - PICTANOVO - Wrong Men - 2025

„Ari“ im Berlinale-Wettbewerb: Mein Freund, das Seepferdchen

Schweberäume des Lebens: Die französische Regisseurin Léonor Seraille erzählt in „Ari“ auf leichte und doch eindrückliche Weise von der Krise eines angehenden Lehrers.

Stand:

Ari (Andranic Manet) will Grundschullehrer werden. Auch weil er Kinder für die einzigen noch normalen Menschen hält. Allerdings entwickeln sie bedenkliche Lärmpegel. Etwa als er vergeblich versucht, ihnen das Gedicht „Das Seepferdchen“ vorzustellen.

Léonor Serraille, die 2017 mit ihrem Erstling „Bonjour Paris“ aufmerken ließ und in Cannes die Goldene Kamera für das beste Debüt gewann, erzählt diese Szene ganz über das Gesicht ihres wunderbaren Hauptdarstellers Andranic Manet. Unsicherheit, Bestimmtheit, Verlegenheit, aber vor allem Offenheit spiegeln sich darin, manchmal alle zur selben Zeit.

Jetzt, beim „Seepferdchen“, ist es das Gesicht eines Ertrinkenden, da helfen auch seine Hinweise auf André Breton, Opium, die Surrealisten und den Zweiten Weltkrieg nicht. Was man kleinen Kindern so erklärt, wenn man gerade vollkommen neben der Spur ist, aber da nicht mehr wegkann. Nein, es hebt nicht das Selbstbewusstsein, schon unter Schulanfängern unterzugehen. Ari kündigt.

Schon nach den ersten zehn Minuten ist man bereit, der Regisseurin ganz zu vertrauen, so leicht, so absichtslos tragen ihre Bilder und scheinen sich doch im Sog einer großen Notwendigkeit zu befinden. Oder wie soll Ari es interpretieren, als der eigene Vater ihn hinauswirft, als er zur Unzeit – also mitten am Tag – nach Hause kommt. Er ertrage keine Faulenzer. Und: „Du verdirbst und vergeudest alles, was du hast“.

Der Strom der Bilder und Worte scheint etwas Zielloses zu haben, wie es einem Menschen gemäß ist, dem gerade eine vernichtende Diagnose gestellt wurde. Und das ist großartig, denn es öffnet Räume, Schweberäume. Andererseits wird sehr viel geredet in „Ari“, schließlich trifft Ari frühere Freunde wieder. Aber ein gewöhnlicher Alle-reden-zuviel-Film ist das keineswegs. Will der entlaufene Junglehrer gar in den Reaktionen der anderen lesen, wer er ist? Am Ende sogar in Irènes Gesicht, die er verlassen hat, als sie ein Kind von ihm bekam? Er war nicht bereit, Vater zu werden.

Schon in Serrailles „Bonjour Paris“ ging es um die Entscheidung eines jungen Menschen für oder gegen ein Kind. Wie soll jemand, der selbst keine Mitte, keine Heimat in sich weiß, diese einem Kind geben können?

Vielleicht kommt es darauf an, die schöne Anfangsszene von „Ari“ immer vor Augen zu behalten: Die große Zärtlichkeit einer Mutter, die ihrem kleinen Sohn erklärt, warum er den Namen Ari bekommen hat. Es ist ein zauberhafter Mutter-Kind-Moment, dabei sind die mütterlichen Exkurse ungefähr genauso bedenklich wie die des erwachsenen Ari vor der Schulklasse bei der Vorstellung des „Seepferdchens“.

Nicht tote Seelen brauchen Begleiter, um nach Hause zu finden, wie wir aus Tom Tykwers verunglücktem Eröffnungsfilm „Das Licht“ und dem altägyptischen Totenkult wissen, die lebenden brauchen sie noch viel mehr.

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