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Finale in vertrauter Runde. Cellist Eckart Runge, Geigerin Anthea Kreston, Bratschist Gregor Sigl und Geigerin Vineta Sareika.

© Nikolaj Lund

Gespräch mit Cellist Eckart Runge: „Artemis war für mich ein gelebter Traum“

Was wird aus dem Artemis Quartett? Cellist Eckart Runge geht, der letzte aus der Originalbesetzung. Ein Gespräch zum Konzert.

Es war eine Meldung, die aufschreckte: Der Cellist Eckart Runge und die Geigerin Anthea Kreston verlassen in diesem Frühjahr das Artemis Quartett. Oh nein, dachte man, nicht Runge, der doch so etwas wie die atmende Seele des weltberühmten Berliner Ensembles ist! Der Einzige, der seit der Gründung 1989 noch dabei ist. Wird das Artemis Quartett nun auseinanderbrechen, fragte man sich? Und wenn nicht, kann es seinen einzigartigen Stil beibehalten, jene Risikobereitschaft, die an Grenzen geht? Diese brennende Intensität, die bedingungslose Suche nach dem Kern der Werke, wegen der das Quartett ja auch goldrichtig nach der Göttin der Jagd benannt ist?

Wer Streichquartette kennt, weiß: Hier kann man nicht mal eben Personen austauschen, wie das in Sinfonieorchestern relativ problemlos möglich ist. Quartette bilden einen Mikrokosmos, eine Lebens- und Schicksalsgemeinschaft, in der minimale Veränderungen sofort das gesamte Gefüge in eine neue Richtung drücken.

„Artemis war für mich ein gelebter Traum“, erzählt Eckart Runge am Telefon aus Genf, wo das Quartett gerade das Programm spielt, mit dem es am heutigen Donnerstag im Kammermusiksaal auftritt. „Eine Lebensform und ein Künstlerkonzept, in dem man sich alles zuwerfen konnte durch Musik, ein Gebilde, in dem alles stimmte, wo man bereit war, sehr viel zu geben und es doch zehn Mal zurückbekam.“ Und doch war dieses Gefühl, das ihn jahrzehntelang begleitet und getragen hat, irgendwann nicht mehr da, besaß das Ringen um die Interpretation der Stücke nicht mehr dieselbe Anziehungskraft. Die Entscheidung sei unmerklich in ihm gereift, „aber mit jedem Darüber-Schlafen fühlte sie sich richtiger an“. Zusätzlich hat der Tod des Bratschisten Friedemann Weigle 2015 Spuren hinterlassen. Zwar musste das Quartett schon früher Veränderungen verkraften, 2012 etwa schied Primgeigerin Natalia Prishepenko aus. „Bei Friedemann war es völlig anders“, sagt Runge. Plötzlich war da ein Riss, und nichts war mehr wie zuvor.

Der UdK-Professor will sich stärker eigenen Projekten widmen

Auch das eigene Älterwerden spielt natürlich eine Rolle. Die Frage, wie viel Zeit noch bleibt. Der 51-Jährige, der auch Professor an der Berliner UdK ist, will sich stärker eigenen Projekten widmen, in denen er musikalische Genres in neue Zusammenhänge stellt. Mit dem Pianisten Jacques Ammon bildet er seit Jahren das Duo „Celloproject“, die beiden haben unter anderem die jazzig angehauchte zweite Cellosonate von Nikolai Kapustin (geboren 1937) eingespielt. Runge spürt noch viel Energie in sich – „neue Kraft fühlend“ lautet die berühmte Bezeichnung Beethovens für den dritten Satz seines Streichquartetts a-Moll op. 132.

Ein Jahr verging zwischen interner und öffentlicher Mitteilung. Alle waren erst mal benommen, auch traurig, mussten sich neu sortieren. Dann entschloss sich Anthea Kreston, seit 2016 als zweite Geige dabei, ebenfalls zu gehen. Das hatte wohl auch mit seiner Entscheidung zu tun, denkt Runge. Er war für sie so etwas wie Verbindungsperson, die beiden kannten sich schon vorher. Außerdem ist Kreston als Amerikanerin von einer anderen Mentalität geprägt: „Bei Engagements in klassischer Musik denkt man in Europa in Dekaden, in den USA eher in Jahren.“

Trotz der Umbrüche sei schnell klar gewesen: Mit dem Artemis Quartett soll es weitergehen. „Vor allem Vineta Sareika und Gregor Sigl spüren noch so viel Hunger nach dieser Lebensform.“ Einige Proben später stand fest, wer Runge und Kreston ersetzt. Und so wird es aussehen, das neue, weiblichere Quartett: An der Primgeige wechseln sich Sareika und die 32-jährige Suyoen Kim künftig ab, eine Besonderheit, die das Ensemble bereits früher praktiziert hat. Gregor Sigl als jetzt Dienstältester bleibt an der Bratsche, und auf Runge folgt am Cello die 28-jährige Niederländerin Harriet Krijgh, die 2017 von Janine Jansen die Leitung des Kammermusikfestivals Utrecht übernommen hat.

Die Dialektik von Individuum und Kollektiv gehört zur DNA

Als „erstklassige Künstlerin, liebenswert, geerdet, voller Intelligenz und Charme, eine Anti-Diva“ beschreibt Eckart Runge seine Nachfolgerin. Preisende Worte findet er auch für Suyoen Kim: „Herzlich, besonnen, ruhig und dabei doch schlagfertig.“ Für ihren Wechsel ins Artemis Quartett gibt Kim ihre Konzertmeisterin-Stelle beim Berliner Konzerthausorchester auf. Auch Vineta Sareika hat 2012 auf so eine Position in Antwerpen verzichtet. Die Abenteuerlust, die Bereitschaft zur offenen Form, wird beide Primgeigerinnen künftig verbinden.

„Wir haben immer schon die Dialektik von Individuum und Kollektiv durchgespielt und dabei dem Individuum viel Raum gegeben“, meint Runge. Das sei tief in der DNA von Artemis verankert, und das werde auch weitergegeben, da ist er sich sicher. Vielleicht muss man das alles auch nicht so dramatisch sehen: Streichquartette bilden, zeitversetzt, die sozialen Strukturen ab, in denen sie existieren. Das heißt: Wie die Gesellschaft insgesamt sind auch sie weniger regional gebunden, demokratischer – und bleiben eben nicht mehr so lange zusammen.

Auch das Publikum verändert sich, freut sich auf Neues. Quartette, die jahrzehntelang in derselben Besetzung spielen, sind nicht automatisch besser: „Alter Wein kann auch kippen“, hat Runge schon 2012 im Tagesspiegel-Gespräch festgestellt. So ist denn das Konzert heute Abend das letzte in Berlin, in dem das Artemis Quartett in der bisherigen Besetzung zu erleben ist, unter anderem mit Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“. Am 15. Mai folgt dann das „Stabübergabekonzert“, dessen zweite Hälfte komplett von den Neuen bestritten wird. Vor der Pause ist Eckart Runge noch dabei, als zweiter Cellist in Brahms’ erstem Streichsextett. Dann aber schon als Gast.

Konzert am heutigen Donnerstag, um 20 Uhr im Kammermusiksaal

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