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Fraktus: „Auf die Glocke, auf die Nuss“

Das Hamburger Künstlerkollektiv Studio Braun wurde um die Jahrtausendwende mit Telefonstreichen bekannt. Die drei Mitglieder Rocko Schamoni, Jacques Palminger und Heinz Strunk sind außerdem Musiker, Theatermacher und Buchautoren. Ihr neuester Streich: Fraktus, eine Band, die Anfang der achtziger Jahre angeblich Techno erfunden hat. Unterstützt wird dieser Mythos durch eine gefälschte Kino-Dokumentation und ein gerade erschienenes Album. Ein Gespräch.

Mein Vater hat mir Ende der achtziger Jahre das erste Fraktus-Album auf Vinylplatte geschenkt. Seitdem interessiere ich mich für elektronische Musik. Hören Sie solche Geschichten öfter?

BERND WAND (Jacques Palminger): Ja. Also es gibt sehr sehr viele Leute, die über die Schallplatten Fraktus-Fans geworden sind. Es geht ja sogar so weit, dass sich die meisten, die heute Techno machen, sich auf Fraktus beziehen.

DICKIE SCHUBERT (Rocko Schamoni): Das war bei uns eben auch so, dass über die deutschen Releases in Amerika Subreleases rauskamen. Auf dem Label Alternative Tentacles zum Beispiel gab es 1984 schon eine Maxi von uns, die Jello Biafra rausgebracht hat. Das sind Szenen, die sich da vermischen. Dass wir in Amerika über Hardcorepunk in den Großstädten bekannt geworden sind, das weiß heute hier keiner mehr. Es gibt amerikanische Maxi-Releases von uns, die man hierzulande gar nicht mehr bekommt.

WAND: Man kann sagen, dass uns damals überhaupt gar nichts bewusst gewesen ist. Wir haben es einfach gemacht. Achtziger Jahre. Da waren drei Dinge entscheidend: machen, machen, machen!

Wie hat sich das Musikgeschäft seither verändert?

WAND: Also für mich gilt im Musikgeschäft: 50 Prozent sind Schwachköpfe und 50 Prozent totale Idioten. Macht also 100 Prozent Leute, die keine Ahnung haben. Das heißt für uns: zurückziehen, abschotten, im ganz kleinen Kreis zusammenkommen und original das machen, was wir wollen und nicht das, was andere wollen. Sogenannte „Musikmanager“, die uns irgendwas vorschreiben wollen. Die können sich bei uns ganz hinten anstellen.

Das klingt jetzt ein wenig unglaubwürdig. In der Dokumentation „Fraktus“, sieht man deutlich, wie Sie sich von Produzent Alex Christensen vorschreiben lassen, wie Ihr Song zu klingen hat.

WAND: Der Film ist ja auch nicht gut für uns. Der spricht ja teilweise eine Lügensprache. Alex Christensen, der hat uns so was von angelogen und das sieht man in dem Film sehr gut. Da wird er sich noch richtig für schämen. Der hat uns in die Augen geschaut und gesagt: „Super! Super!“ Aber als wir dann draußen waren, hat er über uns geredet und zwar so, dass das richtig unter die Gürtellinie ging.

Sie haben damals schon avantgardistische Instrumente gehabt. Ich erinnere mich zum Beispiel an den Phlötenphön. Gibt es die noch?

SCHUBERT: Ja. Der Phlötenphön und das Rodelius, also die Instrumente, die wir wirklich selber gebaut haben, sind natürlich unvergleichbare Showobjekte für die Bühne. Da sehen die Leute auf 1000 Meter, dass es so ein Instrument nur einmal auf der Welt gibt. Und davon hat diese Band eine ganze Menge gehabt. Es gibt keine Band, die so etwas hat. Das ist so groß wie Mike Oldfield. Das ist ein guter Vergleich. Diese Richtung hat das dadurch.

Konnten Sie sich als Urväter von Techno eigentlich mit der Technobewegung identifizieren?

WAND: Ich bin dann auch Techno-Fan geworden und Techno-Fan geblieben, aber nicht dieser Mainstream-Techno, dieser Quatsch-Techno, dieser Disney-Techno, sondern immer im Spirit der achtziger Jahre: Auf die Glocke, auf die Nuss! Solche Musik wird sich immer durchsetzen. Die wird es auch immer geben. Nur die wenigsten können das unterscheiden, aber wir sind da ziemlich genau. Wir würden uns nicht als Spezialisten beschreiben. Wir sind Spezialisten!

Im Song „Computerliebe“ kommen fast schon ein paar zärtlich lyrische Momente an die Oberfläche. Wie kam es dazu?

SCHUBERT: Wir sind privat eine sehr verletzliche Band. Wir sind ja sehr professionell untereinander, aber privat auch sehr, sehr verletzliche einzelne Wesen, die sehr persönlich sind. Also jeder von uns ist sehr persönlich, wenn er alleine ist. Und durch diese starke Persönlichkeit, die jeder vertritt, wenn er alleine ist, kommen solche Einflüsse aufeinander zustande. Dass man auf einmal so etwas macht, was dann auch sehr, sehr persönlich ausgedrückt wird.

Welcher Song beschreibt Fraktus am besten?

WAND: Ich würde sagen „Bombenalarm“, weil der sehr experimentell ist. Der geht nach vorne. Er ist geradeheraus und nimmt kein Blatt vor den Mund. Und er ist trotzdem ein Geheimnis. (Anmerkung: Der gesamte Text von Bombenalarm lautet: „Bombenalarm. Bitte antworten sie mit Stern.“)

TORSTEN BAGE (Heinz Strunk): Welchen Song, rein historisch, können Sie mir nennen, der mit nur sechs Wörtern auskommt? Vor allem ist es tatsächlich so, dass dieser Song, der einzige ist, den wir auf jedem Konzert anders spielen. Er ist das, was Fraktus ausmacht: Transparenz, Durchlässigkeit, osmotisches Empfinden. Das können wir bei „Bombenalarm“ live gut umsetzen, weil wir auf das, was uns an Energien aus dem Publikum entgegenkommt, reagieren.

Wie wird das dann live genau aussehen?

WAND: Bei uns, Fraktus 2012, heißt es wieder „Auf die Glocke! Auf die Nuss!“ Das heißt, Musik so laut wie es nur irgendwie geht. Volle Lightshow. Das absolute Brett. Gas geben. Aus allen Rohren schießen. Erster Weltkrieg, zweiter Weltkrieg, was immer du willst. Fraktus live, das ist ein Experiment: für die Augen, für die Ohren, für den ganzen Body. Wir haben alte Instrumente. Wir haben neue Instrumente. Und wir haben das Neueste, was es überhaupt zu kaufen gibt: Wir haben Apps!

Das Gespräch führte Dennis Kastrup.

Film ab 8.11., Album „Fraktus Millennium Edition“ (Staatsakt) ab 9.11.

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