zum Hauptinhalt

Kultur: Auferstanden in Ruinen

Wenn Politiker zu laut singen: Die Neuköllner Oper widmet sich dem Leben und Leiden der „Angela“ Merkel

Von Jörg Königsdorf

Das Unbehagen lässt sich noch beim Abstieg in die Baustelle des U-Bahnhofs „Reichstag“ nicht ganz abschütteln: Eine singende Angela Merkel - muss das sein? Hat man nicht schon an der redenden mehr als genug? Ist das nicht alles bloß ein geschickter PR-Gag der Neuköllner Oper, Berlins umtriebigster Off-Bühne? Ein Coup, punktgenau platziert in der Schnittmenge von Bundestagswahlkampf und Saure-Gurken-Zeit der Feuilletons? Alles geschickt am Köcheln gehalten durch an sich ja eher belanglose Fragen wie: Sieht die falsche Merkel der echten ähnlich (ja, überraschend sogar!) und: Wird sie selber kommen? (Am Tag der Premiere ging dann doch der Auftritt bei Sabine Christiansen vor.)

Aber Schluss damit, drunten in den Eingeweiden der Neuen Republik, zwischen den monumentalen, schwitzenden Betonsäulen, die eher an eine „Aida“-Kulisse erinnern, geht es denn doch um Oper, was immer heißen will, die lackdünne Folie des Zeitbezugs wegzukratzen und drunter die schlichten, ewigen Wahrheiten zum Vorschein zu bringen, die das Musiktheater seit Monteverdi beschäftigen: Wie die Macht den Menschen verändert, welche Leidenschaften unter der Oberfläche professionellen Gleichmuts toben können – und natürlich darum, wie sich die Macht in Musik und Szene spiegeln lässt. Um das Über-Angelaeske eben, das diese Opernfigur über alle vom Chor skandierten wahltauglichen Vorzüge hinaus („jung, Frau, Ost“) zum fraktionsübergreifenden Identifikationsobjekt machen könnte.

Ausgesucht hatten sich der Komponist Frank Schwemmer und sein Librettist Michael Frowin die Beinahe-Kandidatin, weil sie „seltsam fremd und unberechenbar im Wechselspiel offensichtlicher Verweigerung und bewusstloser Übernahme politischer Spielregeln“ wirke. Und daran, dass ihre Angela eine Getriebene, vom Zwiespalt zwischen Ehrgeiz und Idyllen-Sehnsucht Gerüttelte ist, lässt auch die Inszenierung Robert Lehmeiers keinen Zweifel: Wie ein Bulldozer stapft die andere Merkel, die sehr präsente Kathrin Unger, durch 17 Stationen ihrer letzten 13 Lebensjahre, bahnt sich mit agitatorischer Sopranattacke ihren Weg vom beschaulichen Templin vorbei an tönenden Genossen wie Roland Koch und Michael Glos an die Spitze der CDU. Ein Machtmensch, der doch immer wieder in sich zusammensinkt, hilflos Anlehnung an den Betonwänden wie am Parteifreund Schäuble (Dieter Goffing) sucht.

Eigentlich eine echte Opernheroine, wie geschaffen für eine theatralisch drauflosschluchzende, scharfstimmig sezierende oder einfach auch nur farcenhaft überdrehte Theatermusik. Dass „Angela“ ein Stück von allem, aber nichts richtig hat, ist freilich das grundlegende Problem dieses Stücks. Sicher, Schwemmer beherrscht die handwerklichen Kniffe seines Fachs, arrangiert geschickt sein kleines, von Saxophon, Perkussion und Celloseufzern dominiertes Instrumentalensemble und verwebt geschickt Tanzformen mit melodiösem Parlando. Das lebt vom Zitathaften und klingt mal nach Weill, mal nach Strawinsky und mal nach Bernstein – eine menschliche Perspektive auf Angela eröffnet die Musik in ihrer Unentschiedenheit zwischen Tragik und (momentweise durchaus gelungener) Revue jedoch nicht.

Und doch, ganz am Schluss gibt es einen Moment, der zeigt, was aus dieser „Nationaloper“ auch hätte werden können, wo sich Wunsch und Wirklichkeit mit einem Mal auf packende Weise durchdringen. Wenn im legendären „Frühstück von Wolfratshausen“ der Kandidat Stoiber (Stephan Korves) Merkel mit einer Endlosschleife enervierender Sprechblasen endgültig matt setzt, wühlt Merkel nur in ihrem Handtäschchen, kramt einen Revolver heraus und feuert. Natürlich ohne den geringsten Effekt. Stoiber redet weiter – und der gescheiterten Heldin bleibt nur noch der Weg zum Pflaumenkuchenbacken.

U-Bahnhof Reichstag, Do – So, bis 22. 9.

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false