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Naoise Dolan.

© privat

„Aufregende Zeiten“ von Naoise Dolan: Halbwegs normale Menschen

Naoise Dolan ergründet in ihrem Romandebüt „Aufregende Zeiten“ den weiblichen Selbsthass.

Das Leben stellt mitunter widersprüchliche Anforderungen. Zum Beispiel eine gute Feministin und Anti-Kapitalistin zu sein, sich gleichzeitig aber von Männern aushalten zu lassen . Es heißt, Prioritäten zu setzen, bevor einem der Knäuel aus Widersprüchen im Hals stecken bleibt. Also behauptet Ava, die 22-jährige Heldin von Naosie Dolans Romandebüt „Aufregende Zeiten“, von sich: „Ich konnte kaum etwas gut, aber mit Männern konnte ich, und Julian war bisher der reichste unter ihnen.“

Der feministischen Fragwürdigkeit ihrer Behauptung ist sie sich bewusst. Doch man mag ihr recht geben, wenn sie sagt: „Wenn man zu lange Single war, musste man traurig tun, was ich hasste.“ Doch muss ausgerechnet ein Mann diese Lücke füllen? Naoise Dolan, die 1992 in Dublin geboren wurde, sich einige Zeit in Hongkong aufhielt und mittlerweile in London lebt, findet auch darauf eine Antwort: Ava braucht eine Wohnung.

Nach ihrem Englischstudium opfert sie ihren „Abtreibungsfonds“ – sie ist Irin – für einen Flug nach Hongkong und die erste Miete ihres ranzigen Airbnbs. Sie bringt in Hongkong reichen Kindern Englisch bei, an einer Schule, die als einzige unausgesprochene Qualifikation Weißsein fordert. Und sie begegnet Julian. Der Junior-Banker bezahlt ihr zunächst das Mittagessen und den Wein am Abend, später die Miete, als Ava bei ihm einzieht. Dann schlafen sie miteinander.

Dafür, dass sie ihn nur trifft, um Zufriedenheit zu heucheln, denkt Ava sehr viel über Julian nach. Die Affäre ist das, was man heute eine „toxische Beziehung“ nennt. Danach gefragt, warum er sie möge, antwortet er: „Wer hat gesagt, dass ich dich mag?“ Ava hält seine Unnahbarkeit aus, wehrt sich mit Ironie – und trifft auf Edith Zhang Mei Ling. Zuerst gehen sie nur ins Theater.

Doch Ava verliebt sich in die „unfassbar exquisite Erscheinung“ der wohlhabenden, gleichaltrigen Anwältin aus der Hongkonger High-Society. Die Beziehung ist einfach, beide glücklich – und Julian gerade monatelang auf Reisen. Seine Rückkehr wird zum Problem, auch weil sie Edith glauben machte, Julian sei ihr Mitbewohner.

Die gängige Millenial-Wokeness

Unverhältnismäßig wirkt jedoch ihr Selbsthass: „Man musste schon richtig gestört sein, um mich anzusehen und sich wörtlich zu denken: Mit der will ich gerne Körperflüssigkeiten austauschen.“ Um ihre Unsicherheit errichtet sie eine Mauer aus Ironie und Witz, durch die sie nur selten zu sich selbst vordringt. Sie kann natürlich vieles besser „als gut mit Männern“.

Das demonstriert Dolan mit rasanten Dialogen, die von einem patenten Witz dominiert werden. Und an bissigen Kommentaren und scharfen Beobachtungen. Ava soll etwa ihren Schülern britisches Englisch beibringen, denn „Englisch war Britisch“. Permanent verteilt sie Seitenhiebe auf die „Nation, die sich notorisch einen auf ihre Großartigkeit runterholte.“

[Naoise Dolan: Aufregende Zeiten. Roman. Aus dem Englischen von Anne-Kristin Mittag. Rowohlt Verlag, Hamburg 2021. 320 Seiten, 20 €.]

Hongkong erscheint in diesem Roman als seltsame Enklave versnobter Oxbridge-Expats. Nach den Bildern des vergangenen Jahres ist der Ort zu aufgeladen, als dass man es dabei belassen könnte. Die Geschichte spielt 2017, drei Jahre nach Beginn der friedlichen Regenschirm-Proteste. Dolans Hongkong könnte aber jede andere asiatische Mega-City sein. Ava nimmt Rassismus und Kolonialismus nur peripher durch die gängige Millenial-Wokeness wahr – ein kleines Manko, denn es entwertet den Ort der Handlung und entspricht nicht ganz ihrem Intellekt.

Dolan ähnelt Sally Rooney

Avas Grübeln passt zu ihrer fragilen Selbstbezogenheit. Gerade weil sie zur Kultiviertheit der upper class aufschaut – sie sieht, welche Ungerechtigkeiten sie davon trennen – kann Ava sich selbst nicht mögen. Sie scheint sich als Einzige der Klassenunterschiede bewusst zu sein und davon leibhaftig betroffen. Nach dem Kommunismus gefragt, antwortet Edith, „sie sehe Reiz daran, möge es aber auch, schöne Sachen zu haben“.

Dass Julian und Edith so abgeklärt scheinen, ist eine Schwäche des Romans. Ava betrachtet in ihrer Idealisierung beide wie einen soziologischen Gegenstand, von dem sie ihre Gefühle trennen muss. Sie selbst ist unendlich passiv und stellt zutreffend fest, „dass ich meinen Ehrgeiz stellvertretend durch sie auslebte“.

Dolan ergründet weiblichen Selbsthass vor dem Hintergrund der derzeitigen gesellschaftlichen Konflikte. Darin ähnelt sie ihrer gefeierten Kollegin Sally Rooney („Normal People“, „Gespräche mit Freunden“). Beide Autorinnen beobachten, wie sich Klasse und Gender in zwischenmenschliche Beziehungen einschreiben. Nur verlegt Rooney die Konflikte in die Handlungen ihrer Figuren – Dolans Ava zerbricht sich lieber den Kopf darüber.

Lena Baumann

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