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Fleisch und Milch: Die Kuh Luma ist Teil der kapitalistischen Ökonomie.

© BBC Films

Dokumentarfilm über Tierhaltung: Aus dem Leben einer Milchkuh

Die britische Regisseurin Andrea Arnold hat über mehrere Jahre in einem Landwirtschaftsbetrieb gedreht. Luma ist der vierbeinige Star ihres Films „Cow“.

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In Bilderbüchern und in der Werbung ist die Kuh ein glückliches Tier, zu Hause auf idyllischen Bauernhöfen. Dass die industrielle Wirklichkeit anders aussieht, ist bekannt und seit George Franjus düsterem Kurzfilm „Le sang des bêtes – Das Blut der Tiere“ (1949) auch filmisch wirkungsvoll dokumentiert. Im Zuge der Antispeziesismus-Debatte aber dringen seit einigen Jahren andere Bilder von Tieren ins Kino. Im Zentrum steht nicht mehr der Blick von außen auf die kalte Mechnik der Abläufe, sondern die Erfahrung der Lebewesen aus nächster Nähe. In der Verschiebung vom Objekt auf das lebende – und fühlende – Mitgeschöpf wird auch die Überlegenheit, die der Mensch für sich in Anspruch nimmt, in Frage gestellt.

Während in Victor Kossakovskys stilisierter Schwarzweiß-Fiktion „Gunda“ ein Schwein dem Film seinen Namen gab, nennt Andrea Arnold ihre teilnehmende Beobachtung einfach nur „Cow“. Protagonistin des Dokumentarfilms, der nach seiner Erstaufführung in Cannes nun auf Mubi zusehen ist, ist eine nicht mehr junge Kuh, die im nicht näher ausgewiesenen Agrarbetrieb als Nr. 29 geführt wird. Ihre einzige Daseinsbestimmung ist die Milchproduktion und das Austragen und Gebären von Kälbern. Ist alles aus ihrem Körper herausgeholt, findet auch ihre Existenz ein frühzeitiges Ende.

Über einen Zeitraum von vier Jahren und zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten haben Arnold und die Kamerafrau Magda Kowalczek die Kuh namens Luma immer wieder gefilmt: beim Gebären und an der Melkmaschine, beim Fressen und der Begattung, beim Herumstehen in den engen Stallboxen und – das sind eher seltene Momente – beim Grasen. Die Abläufe im Betrieb sind routiniert – so ist Wiederholung auch ein wesentliches Prinzip der Dramaturgie. Arnold, die seit Filmen wie „Fish Tank“ und „American Honey“ für die Verbindung von rohem Realismus und einer Sensibilität für taktile Wahrnehmungen steht, bleibt sich stilistisch wie thematisch treu.

„Cow“ ist eine Geschichte über die Zumutungen des Arbeitsalltags, Erschöpfung und fehlende Perspektiven, erzählt in der für die britische Filmemacherin charakteristischen Nähe. Kowalczeks Handkamera weicht nur selten von Lumas Seite, sie reagiert auf jede ihrer Bewegungen und ist empathisch mit ihr verbunden.

Das Tier als Teil einer kapitalistischen Ökonomie

„Cow“ beginnt mit der Geburt eines Kalbes. Unmittelbar danach wird es von der Mutter weggebracht, sie darf es weder großziehen noch säugen. Auch wenn der Kamerablick nüchtern bleibt, wird im Cose-up auf Luma, unruhig und aufgewühlt, ein berührendes Trennungsdrama sichtbar. In einem parallelen Strang begleitet der Film das frisch enthornte und etikettierte Junge. Die rumpelige Fahrt mit dem Viehtransporter zeigt Arnold in einer Subjektiven aus dem Innern des Wagens.

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Anders als in „Gunda“, wo die Tiere so gefilmt werden, als würden sie nahezu auf sich allein gestellt leben, ist die Kuh bei Arnold immer Teil der kapitalistischen Ökonomie: eine Gebär- und Milchmaschine innerhalb eines effizienten Fließbandbetriebs. Die Menschen sind als anonyme Figuren nur im Hintergrund sichtbar oder kommen fragmentiert ins Bild: Hände, die das Melkgeschirr ansetzen und die Kühe durch das Gitterareal treiben, Arme, die mit Plastikhandschuhen in das Rektum greifen, Beine, die in Gummistiefeln im Kuhmist herumstapfen. Auch sie sind Elemente einer industriellen Maschinerie.

(Ab dem 11. Februar auf Mubi)

Im Kuhstall läuft laut Musik aus dem Radio – ein Echo auf die Dauerbeschallung in den Supermärkten, wo wir ohne Gedanken an Lumas Schufterei zu den Milchflaschen greifen. Mitunter übernehmen die Popsongs auch eine kommentierende Funktion – wenn etwa die Kuh zu Kali Uchis romantischer Ballade „Tyrant“ mit einem Deckbullen zusammengebracht wird: „All around we go (all around, all around)/Your lovin' is like a kaleidoscope“. In Arnolds sorgsam kuratierter Musikauswahl – Billy Eilish, Kelsey Lu, Garbage („Milk“) – zeigt sich ihr unsentimentaler Realismus als durchaus geformt.

Nur selten verlässt der Film die Begrenzungen des Stalls, um sich auf grüne Weiden zu begeben. Hier öffnet sich der Raum, der Blick fällt auf Vogelschwärme, ein Flugzeug, einen Regionalzug in der Ferne. Zu den intimsten Momenten aber findet „Cow“ nach Anbruch der Dunkelheit, unter dem Sternenhimmel, wenn all der Zweck, den das Tier zu erfüllen hat, sich in der Stille der Nacht verflüchtigt. In seinem Essay „Warum sehen wir Tiere an?“ (1980) schreibt John Berger, dass für den Menschen kein besonderer Blick reserviert sei. Wenn Luma, eine Leidensgenossin von Robert Bressons Esel Balthazar, zu uns zurückschaut, fühlen wir uns dennoch unmittelbar gemeint. 

Esther Buss

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