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Immer dabei: Die Drachen vor der Turmbühne des Fusion-Festivals im mecklenburgischen Lärz.

© imago images / Frank Brexel

Aus für das Fusion Festival?: Ein Ende der Utopie hat sich schon länger angedeutet

Spontane Feuerwerke und selten Polizei: Unser Autor erinnert sich an seine Jahre auf der "Fusion" – und wie sich das Festival langsam veränderte.

Der Name war im Freundeskreis schon häufiger raunend erwähnt worden. Fusion. Das klang zunächst nach einer neuen Kaugummisorte oder einem Staubsaugermodell. Doch in den Ausführungen der Eingeweihten schwang etwas Mythisches mit. Irgendwo in den Wäldern Mecklenburg-Vorpommerns sollte er liegen dieser Ort, an dem für einige Tage die Gesetze der Realität aufgehoben seien. Ein Fest des Hedonismus, sagte die eine. Pure Ekstase, der andere. Ich musste dahin.

An einem Donnerstag im Frühsommer war es dann soweit. Der Tag meiner Initiation war noch jung, da sirrte die Berliner Luft bereits in der Morgendämmerung. Kleingruppen säumten den Straßenrand, bepackt mit Schlafsäcken und Campingstühlen. Die Stadt entleerte sich auf die A24 in Richtung Norden. Kolonnen rostiger Wohnmobile und überfüllter Autos reihten sich aneinander. Ihr gemeinsames Ziel: Ein verlassener russischer Militärflugplatz in Lärz.

Tanzen ist kein Verbrechen

In den folgenden Jahren sollte ich immer wieder über die ehemalige Startbahn aufs Festival rollen. Schwer zu glauben, dass es damit möglicherweise bald vorbei ist. Nachdem sich vergangene Woche die Behörden an der Müritz mit dem Berliner Verein Kulturkosmos, der das Festival organisiert, über das Sicherheitskonzept zerstritten, ist die Veranstaltung nun – nach 22 Jahren – ernsthaft gefährdet. Die Polizei hatte erstmals eine Wache und freie Kontrollmöglichkeiten auf dem Gelände gefordert, der Verein verwies auf 10.000 ehrenamtliche Mitarbeiter, eine Kultur der Achtsamkeit und die positiven Erfahrungen aus den letzten Jahren. Am vergangenen Wochenende demonstrierten Fusion-Fans vor Ort, der Landesverband Berlin der Partei Die Linke forderte „keine anlasslose Bestreifung“ und bekräftigte: „Tanzen ist kein Verbrechen“.

Selbst der bis 2015 zuständige Leiter der Polizeiinspektion Neubrandenburg bezeichnete uns Fusion-Gänger als besonders friedfertige Klientel und die bisherigen Regelungen als absolut ausreichend. Ob das Festival im Juni stattfindet, entscheidet sich möglicherweise an diesem Donnerstag, wenn die Veranstalter ein neues Sicherheitskonzept vorlegen.

Bei meinem ersten Besuch damals gab es umfangreiche Polizeikontrollen auf einer Parkbucht der Landstraße noch vor dem Eingang, kurz dahinter war von Staatsmacht nichts mehr zu spüren: Erste Biere ploppten auf, am Horizont zeichneten sich die zu Bühnen umfunktionierten Hangars ab, Bässe wehten aus der Ferne herüber.

Ein Geruch von trockenem Holz lag in der Luft, der mit zunehmender Annäherung der vertrauten Festivalnote aus Dixi-Toiletten, Schweiß und Grill wich. Einige hielten das Programm in der Hand, das erst unmittelbar vor Betreten des Geländes ausgeteilt wurde.

Karneval der Sinne

Niemand kam wegen des einen, großen Acts hierher. Es war die erste Lektion: Fusion, das bedeutete sich treiben zu lassen. Zwischen den dutzenden Bühnen mit meist unbekannten Künstlern. Die Kontrolle abzugeben, sich auf Augen und Ohren zu verlassen.

„Im kollektiven Ausnahmezustand entfaltet sich an einem Ort ohne Zeit ein Karneval der Sinne, in dem sich für uns alle die Sehnsucht nach einer besseren Welt spiegelt“, schrieben die Veranstalter. Diese bessere Welt brauchte keine Taschenkontrollen, keine erschlagenden Werbebanner und professionellen Sicherheitskräfte. Übergriffe, schwere Unfälle oder Schlägereien erlebte ich dort nicht.

„Ferienkommunismus“ lautet seit jeher die knappe Beschreibung der Fusion. Gemeint war damit nicht der kollektive Konformitätszwang des real existierenden Sozialismus, der von diesem Ort einst verteidigt werden sollte. Die Fusion war eine Feier der Individualität. Punks, Raver und Hippies in friedlicher Koexistenz. Hier durfte das euphorisierte Publikum noch die Bühnen stürmen und der Nachthimmel war von spontanem Feuerwerk erleuchtet.

Haarschnitt gegen Bier

Und die Menschen tanzten. Barfuß im Sand. Auf der Wiese. Im Wald. Hoch oben in den Bäumen auf verankerten Holzpodesten. Unter gigantischen, Feuer speienden Metallkonstruktionen. Erst abseits der Bühnen offenbarte sich das Wunderland des verschwenderischen Einfallsreichtums der Macher. Hier spielten rostige Roboterbands auf, dort schossen Künstler Elektroblitze in den Sternenhimmel.

Friseure kreierten für ein Bier obskure Haarschnitte. Auf einer Lichtung nahm sich ein begehbarer, ausgepolsterter Wal den ermatteten Nachtschwärmern an. Umspielt vom Lichtermeer, das in den Baumkronen toste.

Es waren Tage außerhalb jeder Gegenwart. Eine Oase des Eskapismus. Ohne überflüssige Maßregelung. Das war meine zweite Lektion: Die Überzeugung, dass Menschen sehr gut aufeinander aufpassen können – wenn man sie nur lässt.

Überdosierte wurden versorgt

Bei dieser Weltflucht spielten natürlich auch Drogen eine Rolle. Doch auf jedem Feuerwehrfest, das ich in meinem Leben besucht habe, war das Gewaltpotenzial nach dem dritten Bier höher. Experten informierten auf dem Gelände über Gefahren, gaben Ratschläge für einen verantwortungsvollen Umgang mit verschiedenen Substanzen. Wer trotzdem überdosiert war, wurde professionell versorgt.

Doch mit der Zahl der Gäste wuchsen über die Jahre auch die Widersprüche. Der Ansturm war so groß – 70.000 Besucher werden beispielsweise in diesem Sommer in Lärz erwartet –, dass die Tickets irgendwann nur noch verlost wurden. In einem Jahr überrannten Tausende die Festivalzäune und brachten die Infrastruktur an die Grenzen des Zusammenbruchs.

Demonstrationszüge gegen personalisierte Eintrittskarten zogen über das Gelände. Stammgäste der ersten Stunde wichen da längst schon auf Alternativen aus. Sie fuhren aufs viel kleinere Garbicz, auf die Nation of Gondwana, das 3000 Grad, die Bucht der Träumer ...

Abbruch der Utopie

Inzwischen umschließen hohe, grell ausgeleuchtete Zäune das Gelände. Sie erinnern eher an Schreckensbilder befestigter Grenzanlagen als an „das größte Ferienlager der Republik“, wie es auch genannt wurde.

Eine Fusion nach dem neuen Entwurf der Behörden wäre keine Fusion mehr. Sie hätte mit dem, was mir einst so viel gegeben hat, wenig zu tun. Die Dämonen der Bürokratie haben das Festival seit seiner Gründung vor 22 Jahren umkreist. Jetzt könnte der endgültige Einbruch der Realität erfolgen. Und mit ihr ein Abbruch der Utopie. So schade das wäre – es hat sich schon lange angedeutet.

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