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Beuys will be Beuys. Volker März platziert eine kleine Figur im Depot des Hauses, die frappierend an den Rheinländer erinnert. Stilecht mit Hase.

© Volker März

Ausstellung in Berlin: Volker März präsentiert ein irrwitziges Panoptikum im Georg-Kolbe-Museum

Wühlen im Schlamm der Geschichte: Der Bildhauer Volker März stellt Hitler neben Franco und zieht Beuys die Hosen runter. Eine Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum.

Die Chefin des Georg-Kolbe-Museums hat sich zu einer Radikalkur entschlossen. Ganz wohl ist Julia Wallner nicht dabei. Sie hat schlecht geschlafen vor der Ausstellung „Der Affe fällt nicht weit vom Stamm“ von Volker März. Denn im ehemaligen Kaminzimmer des historischen Bildhauerateliers steht jetzt Hitler neben Franco. Das akademische Franco-Porträt schuf Kolbe als Auftragswerk. Sein Bremer Künstlerfreund Gerhard Marcks, ein verfemter Künstler, ließ sein Hitler-Konterfei irritierenderweise noch 1949 in Bronze gießen.

Die beiden Diktatorenköpfe hat der Gastkünstler aus dem Depot gefischt und knallt sie dem Besucher gleich zu Beginn des Rundgangs direkt vor die Nase. Rumms. Unverfroren lässt Volker März sich zur Eröffnung neben den beiden Unpersonen fotografieren und gibt dazu gleich noch einen seiner Tabubrecher-Lieblingssätze zu Protokoll: „Auschwitz ist menschlich.“ Wie bitte? Schluck das, liebes Publikum. Reg dich auf. Nimm Anstoß und fang an zu denken. Bitterernst ist es dem Bildhauer Volker März mit seiner Kunst. Aber gelacht werden muss trotzdem, und wenn es einem im Halse stecken bleibt.

Kolbes Körperbilder besitzen eine Nähe zur Ästhetik des Faschismus

Er gibt keine Ruhe und wühlt im Schlamm der Geschichte. Joseph Beuys zieht er die Hosen runter und lässt ihn als Kriegsveteran mit Stahlhelm aufmarschieren. Für Volker März ist Beuys ein Mann der Tätergeneration, der sich zum Opfer stilisierte und noch als Documenta-Künstler an Veteranentreffen teilnahm. Julia Wallner sieht Beuys anders, überlässt ihrem Gast aber beherzt die Bühne.

Das Haus sieht sich in der Pflicht, die Debatte zu eröffnen: über Kolbes ambivalente Distanz zum NS-Regime und die Nähe seiner Körperbilder zur ideologiebesetzten Ästhetik des Faschismus. Zusammen mit dem Bremer Gerhard Marcks-Haus wurde die Schau vorbereitet. Draußen im Garten liegen riesige Radiergummis bereit. Wie wäre es, die ganz großen Fehler der Geschichte einfach auszuradieren? Geht aber nicht, und darum ist diese Ausstellung da.

Dieser Mann hat eine Irrsinnsphantasie

Ein irrwitziges Panoptikum aus Hunderten handlicher Keramikfiguren ist in Kolbes Atelier eingerückt. Jetzt sieht es hier aus, bemerkt Volker März, wie in seinem eigenen Kopf. Unablässig löst eine Figur die andere ab. Manche haben Eselsohren, viele Affenköpfe. Vielleicht wären Affen die besseren Menschen. Geschlechterunterschiede erkennt Volker März nicht an. Videos, Fotos, Gemälde und Texte komplettieren den „Salat“, wie er seinen medialen Mix nennt.

Die Geister der Vergangenheit stehen unter seinen Händen wieder auf und treiben quicklebendig ihr Spiel. Nietzsche trifft Hannah Arendt, Arafat liegt irgendwo im Regal. Martin Walser und Rilke hat es unten in den Keller verschlagen. Auch Merkel ist da. Hier tickt eine Uhr, da skizziert ein Bühnenmodell eine Theaterszene. Ein Protagonist beißt herzhaft in ein saftiges Stück Gold. Hunde laufen mit und ohne Vorderteil herum. Dieser Mann hat eine Irrsinnsphantasie und bremst sie nicht aus. Der ganze Unsinn generiert Sinn, driftet aber manchmal auch komplett ab.

Zu gemütlich wird es nie - trotz Plüschsofas

Franz Kafka lässt er nach Israel reisen und dichtet ihm eine neue Biografie samt Liebschaft zu Pina Bausch und Todesstrafe an. Der Künstler erklärt das als subversive Strategie, um die israelische Regierung zu kritisieren. Warum man nach 1945 all die schönen Hakenkreuze wegschmiss, fragt eine sich drehende Glitzerskulptur mit verdrehten Hakenkreuzarmen: Man hätte doch so schöne Dinge daraus machen können. Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ erlebt eine Neuauflage mit zerschellenden Flüchtlingsbooten an europäischen Ufern. Die Kunst ist involviert und keine politikfreie Zone: Darum geht es Volker März.

Eine blaue Europa-Personifikation mit dem Gesicht einer Farbigen lässt sich als elektrische Lichtbringerin anknipsen, in bester Aufklärungstradition. Daneben laden plüschige Sofas zum Luftholen ein. Verweile nur! Volker März sorgt schon dafür, dass es nicht zu gemütlich wird. Zum Schmökern liegt sein druckfrischer Künstlerroman „Horizontalist“ griffbereit. Darin lässt der Autor seinen Protagonisten „Franz Mai“ gleich im ersten Kapitel im Atelier sterben.

Kunst sei Prostitution, so März

Einen Film mit Überlänge nennt der Künstler seinen multiplen Angriff auf Sinnproduktion und Verdrängungsmechanismen. Auf Hosentaschengröße schrumpfen seine bunt bemalten Figuren die großen Themen von Schuld und Scham, von Geschichte und Gegenwart ein. Volker März will sie handhabbar machen. In einem Kiosk im Garten bietet er seine Produkte zu Schleuderpreisen zwischen einem und 100 Euro feil. Kunst sei sowieso Prostitution.

Ohne Figuren aus Ton zu formen, kann Volker März gar nicht denken. Eine nach der anderen knetet, brennt und bemalt er. Als pausenlos sich fortschreibender Denkstrom aus Körpermetaphern füllen sie die Ausstellung: Kommentar und Widerpart zu den bronzenen Kolbe-Figuren, die der Künstler kurzerhand mit untermixt. Diese müssen sich der Konfrontation mit der Gegenwart stellen.

Das humanistische Körperideal Georg Kolbes ist nach dem Sündenfall der NS-Diktatur tatsächlich nicht mehr ohne Unbehagen zu haben. Unter der Decke im großen Atelier schweben mit entspannt ausgebreiteten Armen drei große „Horizontalisten“: Einfach nur nichts tun, sich treiben lassen und den ganzen verworrenen Mist der Geschichte und Gegenwart hinter sich lassen – das wäre die wahre Utopie, die wahre Freiheit.

Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, bis 2. September, Di–So 10 – 18 Uhr

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