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Ausstellung in der Alfred-Ehrhardt-Stiftung: Die Scheinweltmeister

In der Erhardt-Stiftung experimentieren Fotografen mit der künstlerischen Täuschung: Sie inszenieren zauberhafte Miniaturlandschaften.

Alfred-Ehrhardt-Stiftung, Auguststr. 75, bis 26.04.; Dienstag bis Sonntag 11-18 Uhr, Katalog 19,95 Euro

Wie bitte kommt man auf diesen Berg? Es gibt keine Wege, das idyllische Schwarzwaldhaus klebt zwischen Himmel und Abgrund, die Felsen scheinen von sattgrünen Flechten bedeckt. Nicht zu vergessen der mächtige Brocken, der sich gefährlich über die Hütte schiebt.

Eine düstere Romantik hat Thomas Wrede auf seiner Fotografie eingefangen. Obwohl längst klar ist, dass dieses Medium keine Wahrheit garantiert, gelingt für einen Moment die perfekte Illusion: Das monumentale Bild mit einer Länge von knapp zweieinhalb Metern suggeriert eine erhabene Landschaft mit schroffem Gebirge und Einsiedelei.

Der Eindruck zerbröselt in jenem Moment, der das Häuschen als Miniatur entlarvt. Als typisches Requisit einer Modelleisenbahn. Plötzlich ruckeln sich in der Alfred-Ehrhardt-Stiftung die Dimensionen des Motivs zurecht. Es schrumpft auf Alltagsformat. Das Grün ist Moos und die Formation kein Naturspektakel, sondern ein sorgfältig inszenierter Ausschnitt zwischen Steinen, die sonst eher unbemerkt blieben.

Sehnsüchte nach idealisierten Landschaften

Das Auge lässt sich täuschen, und Künstler wie Wrede lassen sich auf das Spiel mit den Dimensionen, der Vernebelung der tatsächlichen Verhältnisse, ein. Oft sogar im Wortsinn, denn in der Ausstellung „Modell-Naturen in der zeitgenössischen Fotografie“ wird eifrig mit Dampf und Schleiern gearbeitet. So rückt das Motiv noch etwas weiter weg, verleitet zu Suggestion und erzeugt Sehnsüchte nach jenen idealisierten Landschaften, wie sie auch Julian Charrière oder Sonja Braas erstehen lassen.

Die auf fünf Künstler reduzierte Schau ist eine Übernahme aus der Staatsgalerie Kiel. Die Idee entstand in der Alfred-Ehrhardt-Stiftung, und man fragt sich, was Kuratorin Marie Christine Jádi dazu angestiftet hat, der Naturfotografie des Stifters diese artifiziellen Welten entgegen zu halten. Ehrhardt hat Sandspuren im Watt festgehalten oder die Oberfläche einer Muschel. Sein Mikroblick fokussiert auf Strukturen, daraus ergibt sich das verbindende Moment: Dass die abstrakten Motive, die alles um sie herum ausblenden, authentisch sind, muss man dem Fotografen glauben. Zweifel würden den Eindruck zerstören. Hier setzt die Ausstellung mit einer jüngeren Generation an.

Die Faszination an den Motiven von Wrede, Shirley Wegner oder Oliver Boberg resultiert aus der Skepsis. Viel zu schön kommen die Gletscher in diesigem Licht oder die Wolkenformationen auf ihren postergroßen Fotos daher, als dass Sonja Braas nicht nachgeholfen haben dürfte. Und erst ihr 32-teiliges Werk „The Passage“ (2009-12): Auf den kleinen, schwarz-weißen Tafeln bieten Meer und Horizont immer neue Varianten des Jahrhunderte alten Motivs.

Täuschend echt ist hier keine Phrase

Echtheit wird in dieser Schau zu einem schillernden Begriff. Das hat mit dem Titel „Modell-Naturen“ zu tun, der erst einmal verwirrt. Die hier versammelten Künstler stecken viel Mühe in die Konstruktion ihrer Motive, die Fotografie ist Mittel zum Zweck der Wiedergabe. Oliver Bobergs „Schatten #10, (Privatweg)“ ist ein perfektes Beispiel für das Verblüffende, ja Verschrobene dieser Strategie. Sein Miniatur-Modell einer Straßenszene konkurriert so sehr mit der Wirklichkeit, dass man die Differenz kaum wahrnimmt. Täuschend echt ist hier keine Phrase, sondern der Impuls zur künstlerischen Intervention. Was sehen wir? Was wollen wir sehen?

In jedem Fall Panoramen, wie sie Julian Charrière auf seinen C-Prints offeriert. Unter hellblauem Himmel lockt die Bergwelt mit von Schnee bedeckten Kuppen und schroffer Schönheit. Der Künstler, dessen Arbeit sich immer wieder mit manipulierter Natur beschäftigt, nennt im Titel der Motive sogar die GPS-Koordinaten – die Neugierige zum Gleisdreieck in Kreuzberg führen, wo vor Jahren der nahe Park umgestaltet wurde. Die Gipfel sind Erdhügel, für den vermeintlichen Schnee hat Charrière eine Tüte Mehl mitgebracht und den Nebel künstlich produziert.

Seine Vorbereitungen klingen nach simpler Imitation, sind in Wahrheit jedoch höchst anspruchsvoll. Für die Täuschung muss der Künstler sich gut präparieren, das Misstrauen an seiner idealen Landschaft fein dosieren. Es soll langsam in unser Bewusstsein sickern, sich ausbreiten und das Bewusstsein für die Lust am Artifiziellen schärfen.

Wie anders man sich dem Thema nähern kann, zeigt Shirley Wegner. „Crop“ (2012) zeigt ein dichtes Weizenfeld, „Night Explosion“ (2013) die nächtlichen Lichter einer Stadt. Darüber schwebt ein Teppich aus Wolken. Die in Tel Aviv lebende Künstlerin verwendete für die dramatische Szenerie farbige Wattebäusche und schillernde Folienreste. Das Weizenfeld besteht aus Kunstgras, die Erde davor ist so künstlich wie nur etwas. Der Betrachter wird im selben Moment mit der Modellhaftigkeit der Sujets konfrontiert. Unzulänglichkeit als Konzept – auch das ist eine Form von Wahrheit.

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