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Benjamin Voisin in „Verlorene Illusionen“.

© Cinemien

Balzac-Verfilmung „Verlorene Illusionen“: Enten, Intrigen und die Medien

Xavier Giannoli erzählt in seinem Film, wie die Medien und das Verlagsgeschäft im Paris der 1820er Jahre funktionen. Und dazu ein Intrigendrama und eine Éducation sentimentale.

Diese Geschichte ist eine der ältesten, meisterzählten der Welt, zumindest seitdem die großen Städte als Motoren des Fortschritts gelten. Ein junger Mann kommt aus der Provinz in die Großstadt, um hier sein Glück zu machen - und scheitert: „Paris und sein Glanz, Paris, das in der Vorstellungswelt der Provinz zu einem Dorado wird, erschien ihm im goldenen Gewand, das Haupt mit königlichen Edelsteinen geschmückt, und seine Arme öffneten sich allen Begabten.“

So steht es in Honoré de Balzacs Roman „Verlorene Illusionen“, und darum geht es in der sehr gelungenen Roman-Verfilmung durch den französischen Regisseur Xavier Giannoli. „Verlorene Illusionen“ ist ein Band von Balzacs weitverzweigter „Menschlicher Komödie“. Entstanden zwischen 1837 und 1844, ist der Roman selbst ein Triptychon, mit Vorgeschichte und langem Epilog.

Ein rasanter Film über eine Branche im Wandel

Giannoli hat sich das Herzstück vorgenommen, das ausschließlich dem jungen Dichter Lucien Chardon, oder, wie er es gern hätte: Lucien de Rubempré gewidmet ist, angesiedelt im Paris der Restauration und vor der Juli-Monarchie.

Mit seiner adeligen Geliebten Madame de Bargeton (Cécile de France) kommt Lucien (Benjamin Voisin) nach Paris und wird von ihr rasch verlassen, zu unterschiedlich sind Klasse und Herkunft. Auf sich allein gestellt und nach ein paar Tagen schon mittellos, will Lucien es nun wissen und die Stadt erobern, mit seinem Talent, seinem Gedichtband „Margueriten“, den er verlegt haben möchte.

Aus dem zunächst opulenten-gediegenen Historien- und Kostümdrama wird ein rasanter Film über eine mächtiger werdende Branche im Wandel: die des Journalismus. Lucien lernt den ihm zunächst wenig geneigten, später verbundenen Dichter Nathan (Xavier Dolan) kennen, der gleichzeitig als Erzähler aus dem Off fungiert. Vor allem aber protegiert ihn der Boulevardjournalist Etienne Lousteau (Vincent Lacoste) und bringt ihn zum Schreiben von Theater- und Buchkritiken und böse-satirischen Porträts.

Lucien wird zum Starschreiber, zum Medienstar, würde man heute sagen. Er lernt, wie klein und egal der Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge ist, wie Korruption und geistige Prostitution einander bedingen und warum man Bücher gar nicht gelesen haben muss, um sie zu rezensieren. Und wie der Erfolg von Theaterstücken „gemacht“ wird, nicht zuletzt durch den Applaus-Mogul Singali (Jean-François Stéverin), der am Ende auch Luciens Schicksal besiegelt, da er stets dem Höchstbietenden dient.

Man fühlt sich bisweilen an Flaubert erinnert

Enten, Tauben und ein Äffchen gehören - hochgeradig symbolisch aufgeladen - zum Ensemble dieses Films. Der Affe sorgt dabei für eine der großartigsten Szenen, da er in der Runde des Zeitungs- und Buchverlegers Dauriat (Gérard Depardieu) für die Auswahl der zu rezensierenden Bücher sorgt.

Es ist eine der bemerkenswertesten Leistungen von Giannoli, mit seinem Lucien eine Figur geschaffen zu haben, die der von Balzac in nichts nachsteht: Lucien geht den Pakt mit den Teufeln ein, hat Probleme mit dem Klassenwechsel und ist moralisch nie so integer, wie er am Ende versucht mit dem Glauben an die Poesie zu erscheinen - und dem an seine Theaterfreundin, die er doch wieder mit seiner Ex betrügt.

Ähnlich bemerkenswert ist, wie furios es Giannoli gelingt, eine an unsere Gegenwart erinnernde Mediengeschichte, ein Intrigendrama und eine Éducation sentimentale zugleich zu erzählen (klar, nicht selten fühlt man sich bei Lucien an Flauberts Frédéric Moreau erinnert), ohne sich zu verheben.

Dass Lucien scheitert ist das eine; doch Sorgen muss man sich nach dem Film nicht um ihn machen: Balzac hat ihm in „Glanz und Elend der Kurtisanen“ einen zweiten Anlauf in Paris gegönnt.

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