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Wiebke Siem: Der Traum der Dinge 2016/2022

© Museum der Moderne Salzburg/Museum der Moderne Salzburg

„Banalität in dummen Kleidern“: Wiebke Siem im Kunstmuseum Bonn

Die Bildhauerin und Objektkünstlerin Wiebke Siem stellt in ihrer Kunst Fallen. Sie liebt Finten, Satire und Ironie. In ihrer Wahlheimat wollte niemand die Ausstellung übernehmen. Nun ist ihr Werk in Bonn zu sehen.

Von Helga Meister

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Nach einem zwölfjährigen Kunststudium in Kiel und Hamburg startete Wiebke Siem mit Kleidern nach Burda-Schnitten, applizierte Karo-Muster, aber nähte die Muster bewusst falsch zusammen und schickte Freundinnen damit auf die Straße. In bewusstem Gegensatz zum Genie-Begriff der 1980er Jahre wollte sie die Kunst benutzbar machen, unters Volk bringen und dort ausstellen. Inzwischen prüft sie nicht nur Schnittmuster, sondern Begriffe wie Skulptur, Genie und Museum. Indirekt macht sie sich auch über die Gesellschaft der Zeit lustig, die lächerlich und sexistisch sei.

Mit eng anliegenden „Prinzess-Kleidern“ beginnt die Bonner Schau. Deren Schnittmuster waren für die Hausfrau gedacht. Auf der Pressekonferenz sprach die Künstlerin vom Schnitt, den jede Oma damals trug. „Es ging um Banalität in dummen Kleidern“, betont sie. Der nächste Raum zeigt ihre Beschäftigung mit der Postmoderne, auch mit postmodernem Design. Sie stellt im „4. Werksatz“ die hohen Figuren nicht in den Raum, sondern vor die hintere Wand, als wolle sie diese abstellen. Sie benutzt einen Teppich aus Lochblende und eingesteckten Filzstreifen als Abstandshalter und bestückt den Raum mit viel zu großen Spielsachen, mit denen kein Kind umgehen könnte.

Die Künstlerin hinterfragt und untertreibt die Skulptur wie die männliche Gesellschaft. Dabei übt sie Spott und Humor. Die Installation „Die Fälscherin“ (2008/2009) beweist dies selbst im Titel. Sie stelle Fallen, liebe Finten, Satire und Ironie, sagt sie. Sie zeigt ein altes Esszimmer mit Anrichte und ausziehbarem Holztisch, das Ganze voll gestellt oder drapiert, mit Küchenbrettern, Holz- und Perückenköpfen, mit erhobenen Händen aus Holzlöffeln, mit Stabfiguren aus Nudelholz und Füßen als Schuhspannern. Das Inventar gleicht mit Nägeln, Mörsern und Korbgeflecht den Imitationen des sogenannten Primitivismus. Sie imitiert Museumssammlungen und Archive, die sie von ihren Besuchen in den ethnologischen Sammlungen bestens kennt. Aber sie übt auch Distanz.

Wiebke Siem: Bastian im Maskenkostüm Untitled, 2001

© Stefan Alber/Stefan Alber

Die „Fälscherin“ ist letztlich die Künstlerin selbst, die alle Objekte anfertigt, auf dem Trödelmarkt kauft, in Kleinanzeigen findet oder auf dem Dachboden der Oma entdeckt. Das Geld sei zu knapp für einen Assistenten, erklärt sie. Doch ihr eigenes Geschick ist Goldes wert, um eine Kabelrolle in einen „Exhibitionisten“ mit Grapsch-Händen und Penis zu verwandeln, ein Riesenauge aus feinem Anzugstoff baumeln zu lassen oder einen kafkaesken Schaumstoff-Balg über einen alten Schlitten zu schieben. Beuys und Kafka dürfen grüßen.

Ihre Arbeiten wollen nicht autobiografisch verstanden werden, liebt sie doch in ihrer eigenen Wohnung Designermöbel. Dennoch gehören Gelsenkirchener Barock oder leicht vergilbte Küchenschränke zu ihrem Inventar, mit dem sie die Museumsräume bestückt. Zur Gemütlichkeit der guten, alten Zeit kommt eine Krimi-Atmosphäre, wenn der Stuhl umgeworfen ist, als sei die Witwe allzu schnell aus dem Doppelbett gesprungen, während aus dem Schlafzimmerschrank das Schaumstoff-Gespenst spukt. Oder wenn eine kopflose Figur mit rotem Riesenrock, schwarzen Armen und pendelnden Beinen am Haken hängt, während der Körper aus einer hell leuchtenden Lampe einen Schalter an den Genitalien hat, sodass man das strahlende Gespenst ausschalten könnte. Das ist absurdes Theater. Hier nimmt sich die Künstlerin auch selbst auf den Arm. Museumschef Stephan Berg ist so angetan von dieser Installation, dass er den Raum mit der surrealen Pendelleuchte angekauft hat.

Spott und Selbstironie sind immer dabei. Sie leitet diese Eigenschaften von ihrer Mutter ab, deren Familienmitglieder als Deutsche seit Generationen polnische Bürger waren. In der Rauminstallation, die zu deutsch „Es ist nichts, was so schlecht ist, dass man es nicht auch in etwas anderes Gutes verwandeln kann“, taucht sogar der Titel in Polnisch auf. Humor durchzieht die Säle. Der verdunkelte Raum „Traum der Dinge“ zeigt Holzschalen, Spanschachteln, Waschbretter, Backtröge, Spazierstöcke, Krautstampfer, Kleiderbügel und Schuhleisten, die vom Publikum benutzt und umgesetzt werden dürfen, was im Museum normalerweise strengstens verboten ist. Ironie des Schicksals: Die Szenerie, die ans Schwarze Theater erinnert, lässt sich (noch) nicht verkaufen, denn Sammler kaufen üblicherweise keine gebrauchten Sachen.

Bleibt die Frage nach dem Titel der Ausstellung, dem „Maximalen Minimum“. Hier wird die Ironikerin ernst, setzt den maximalen Profit in der Wirtschaft gegen die Unwirtschaftlichkeit im Atelier, „wo alles reingesteckt wird und stellenweise gar nichts rauskommt.“ Bis 1997 habe sie gejobbt, geputzt und Nachtwachen geschoben. Eine Außenseiterin ist sie trotz des renommierten Goslarer Kaiserrings geblieben. Erst jetzt kaufen Den Haag und Bonn ihre Installationen. In Berliner Museen herrscht Funkstille. Sie wohne hier schon über 25 Jahre, ohne wahrgenommen zu werden, sagt sie. Ausgestellt wurde sie in Berlin nur von Galeristen, die ursprünglich aus Köln kamen, und die nun Teile ihrer Sammlung nach München geben.

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