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Kultur: Bangemachen gilt

Der Wald steht schwarz und schweiget: Jessica Hausners Seelenthriller „Hotel“

Ein Waldhotel in Österreich. Bieder, spießig, total normal. Schlichte Zimmer, Musik im Aufzug.

Aber was, wenn das Licht zu knistern beginnt und die Liftmusik Aussetzer hat? Ein technischer Defekt? Oder beginnt so ein Horrorfilm: unmerklich, unaufhaltsam? Eine simple Geschichte: Die junge Irene (Franziska Weisz), tritt eine Stelle als Rezeptionistin an. Blasses Gesicht, streng gescheiteltes Blondhaar, schüchtern-korrektes Auftreten. Ein biederes, total normales Arbeitsleben mit Seminarraum-Kontrolle und Wochenplan für die Angestellten. Die junge Wiener Regisseurin Jessica Hausner („Lovely Rita“) entkleidet den Horror jeglicher Action. Da sind nur die langen Flure, in einem labyrinthischen Haus wie in Kubricks „Shining“, aber ohne den Furor eines Jack Nicholson. Und Suspense wie bei Hitchcock, aber ohne schöne Frauen. Und ohne Auflösung.

Eine, die auszieht, das Fürchten zu lernen: Irene schweigt, schaut, staunt. Das Treppenhaus, das sich im Dunkel verliert. Der schwere Vorhang, der sich partout nicht bewegt. Gedämpfte Schritte, manchmal tuscheln die Kollegen. Vor dem Hotel steht der Wald schwarz und schweiget, wie im Mondlied von Matthias Claudius, das der Jugendchor der Dorfgemeinde auf Wunsch intoniert. Deutsche Mythen, Österreichs Tristesse.

In knapp angeschnittenen, karg ausstaffierten Bildern, mit sparsamer Kameraführung und präziser Farbdramaturgie provoziert Jessica Hausner eine Atmosphäre des Unheimlichen. Welcher Albtraum lauert im Schatten? Warum spricht keiner über Irenes Vorgängerin Eva, die spurlos verschwunden ist? Und was hat es mit jener Hexe auf sich, die in der nahe gelegenen Grotte gehaust haben soll?

„Hotel“ ist Psychostudie, Seelenthriller und Gesellschaftspanorama zugleich: ein Versuch über die Einsamkeit im hierarchisch verregelten Hotelbetrieb mit der hinreißend falschfreundlichen Schriftstellerin Marlene Streeruwitz in der Rolle der Chefin. Womöglich fantasiert sich Irene all die geheimnisvollen Irritationen ja nur herbei. Der schnell gefundene Freund aus der Dorfdisko, die Kollegin (Birgit Minichmayr), die gern Zimmerpartys feiert – sie bleiben seltsam fremd und fern. Vielleicht ist alles total normal hier, und Irene will bloß dazugehören, ihre Pflicht erfüllen und sich ausruhen nach Dienstschluss. Oder wahlweise weg, auf ihre Art. Raus aus den Banalitäten, diesem Mikrokosmos einer unfreien Welt. Irene setzt sich Evas Brille auf, versuchsweise, wegen des zweiten Blicks. Und wegen der Aufmerksamkeit, die der Verschollenen zuteil wird. Allerorten wittert sie Übernatürliches, höhere Mächte, Magie.

Jessica Hausners Minimalismus, ihre Ästhetik der Leerstellen und Andeutungen zieht den Zuschauer in Bann und lockt ihn hinter die Oberflächenphänomene der Wirklichkeit. Ein Waldschattenspiel, archaisches Gegenwartsmärchen. „Hotel“ wirft kein Licht ins Dunkel, sondern schickt uns mitten in die Finsternis. Dort sind wir allein, wie Kinder in der Nacht, und erleben Begegnungen der dritten Art: mit der eigenen Angst und der Lust auf all das, was sich dem ersten Blick gewöhnlich entzieht. Bangemachen gilt eben doch.

fsk am Oranienplatz, Hackesche Höfe

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