
© REUTERS/ANNEGRET HILSE
Tag 1 auf der Berlinale: Achtung! Sie verlassen jetzt Frost-Berlin!
Die 75. Berlinale startet mit ausverkauften Fanartikeln, lustigen DDR-Klamotten und deprimierender Romantik. Unser Autor sichert sich den ersten Stehplatz.

Stand:
Ich weiß gar nicht, wie Hechtsuppe zieht. Am Potsdamer Platz zieht’s auf jeden Fall mehr. Früher verlief hier die Mauer, heute müsste man am Berlinale-Palast ein Schild aufstellen: Achtung! Sie verlassen jetzt Frost-Berlin!
Meine roten Berlinale-Teppich-Socken vom letzten Jahr haben inzwischen ein Loch, die meisten meiner über die Jahre zusammengetragenen Festivaltaschen auch. Zum 75-Jährigen haben sie zum Glück neue aufgelegt. Im Onlineshop finden sich der „Berlinale Banner Rucksack“, die „Berlinale Banner Bauchtasche“, die „Berlinale Banner Tragetasche“ und die „Berlinale Banner Handytasche“. Ich kann mich echt nicht entscheiden, denn überall steht der Zusatz: „Im Moment nicht lieferbar“. In Berlin sind gerade alle Taschen voll leer.
Armenische Brunnenbauer und alkoholkranke Südkoreaner
Das Filmprogramm ist wieder pickepackevollgepackt. Schon zum Start schäumt das Festival vor Lebensfreude. Will ich fünf mexikanischen Kindern zugucken, die sich in Selbstisolation flüchten, weil ihre Eltern verschwunden sind? Oder einem armenischen Brunnenbauer, der von einer Horde Bauern getötet wird, was sich als Irrtum herausstellt?
Oder doch lieber einer alkoholkranken Südkoreanerin, die von einem Mann nach Hause geschleppt wird, dessen Körper von Arthritis ausgelaugt ist? Die Premiere am Valentinstag verspricht jedenfalls Romantik: Die Berlinale schwärmt vom „kargen Porträt einer zum Scheitern verurteilten Liebesgeschichte zweier verlorener Seelen“. Rosen sind auch nur dornige Chancen.
In Ost-Berlin gabs früher „Nelken in Aspik“. So hieß ein lustiger DDR-Film über ein Kombinat, das für Werbung im Sozialismus zuständig war. Am Klavier klimpert der legendäre Kinderliedsänger Reinhard Lakomy und singt: „Werbung für den Wartburg ist der reinste Hohn / Willst du einen haben, kriegt ihn erst dein Sohn“.
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Damit die Klamotte damals gezeigt werden durfte, haben sie einen Disclaimer in den Vorspann gepackt: „Alle dargestellten Betriebe haben nichts mit Betrieben der DDR zu tun und können so nur im Filmwesen vorkommen.“ Zum Jubiläum zeigt die Berlinale den Film noch mal. Und stellt im Onlineshop-Kombinat die Lieferschwierigkeiten nach.
Für die Eröffnungsgala habe ich noch eine Stehplatzkarte ergattert. Kein Problem für mich als Fußballfan. Die Berlinale ist nun auch eine Alte Dame. Ich weiß nicht, ob sie das glücklich machen wird. Mich schon. Zehn Tage lang hat mich das Kino wieder in der Tasche. So, mehr Worte sind im Moment nicht lieferbar.
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