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Berliner Häuser (Finale): Das Gewicht der Stadt

In Tempelhof steht der Schwerbelastungskörper– ein Relikt der Pläne für die NS-Welthauptstadt Germania. Hier ließ Albert Speer testen, wie tief seine Monumentalbauten im Märkischen Sand absacken würden.

Wir beenden unsere 20-teilige Serie über Berliner Häuser mit einem gewichtigen Schlussstein, dem mit 12 650 000 Kilo auf 21 Metern Breite schwersten Haus der Stadt, gemessen am Volumen.

Eigentlich ist der Schwerbelastungskörper an der General-Pape-Straße in Tempelhof kein Haus im engeren Sinne. Niemand würde darin wohnen wollen, und gearbeitet wird dort seit 1984 auch nicht mehr. Doch reflektiert der Betonpilz die Bedingungen der Möglichkeit aller Berliner Häuser, da er den Grund, auf dem sie alle stehen, am besten kennt. Er ist ein kantisches Apriori der Architektur.

So enthält er auch die Möglichkeit nicht gebauter Häuser: der Großen Halle etwa mit ihrer 290 Meter hohen Kuppel; oder des Triumphbogens, der nach den Plänen der Nazis ein paar Steinwürfe entfernt 170 Meter breit über der Prachtstraße in den Himmel ragen sollte, mehr als doppelt so hoch wie sein Pariser Vorbild. Der Bildhauer Arno Breker sollte die Namen der 1,8 Millionen Gefallenen des Ersten Weltkriegs einmeißeln. Albert Speer nannte Hitlers Bogen sachlich „Gebäude T“.

Um sicher zu gehen, dass die 12 650 Tonnen des Gebäudes nicht im Märkischen Sand versacken würden, ließ Speer 1941 zum Test das gleiche Gewicht in Stahlbeton aufgießen. Eigentlich sollte dieser Belastungskörper nach 20 Wochen wieder verschwinden, aber dazu kam es nicht. Später war eine Sprengung nicht mehr möglich, weil sie die umliegenden Wohnhäuser gefährdet hätte. So steht der Zylinder 70 Jahre später noch immer da, leicht schief hinter Bäumen und Gebüsch geduckt, als einziges Relikt der geplanten Nord-Süd-Achse für die Welthauptstadt Germania. Der Schwerbelastungskörper ist das kalte Negativ des Triumphbogens, er ist das Eckige im Runden. Auf seiner tonnenschweren Rationalität gründete die himmelsstürmerische Irrationalität der Nationalsozialisten.

„Schwerbelastungskörper“ ist die jüngste Bezeichnung in einer langen Reihe von Namen, die vom „Prüfturm“ bis zum „Nazi-Klotz“ („Die Zeit“) reicht. Michael Richter hat den Begriff erfunden. Der auf Sanierungen und Denkmalpflege spezialisierte Architekt leitete die Sanierung des historisch schwer belasteten Bauwerks von 2007 bis 2009. Jeden Sonntag gibt er für den Berliner Unterwelten e. V. Führungen. Und ausnahmsweise kommt Richter auch während der Winterpause an einem eisigen Vormittag an die Kleingartenkolonie Papestraße und schließt die schwere Eisentür auf, die in die niedrige Messkammer führt.

Drei konische Öffnungen gewähren in schrägen Winkeln Blicke durch die dicke Wand nach draußen; das hätte auch Zaha Hadid entwerfen können. Auf der Betonstele dazwischen stand ein Messgerät und registrierte, wie das Gebäude allmählich sank: 18,6 Zentimeter bis 1944; 19,4 Zentimeter bis 1948; das Tausendjährige Reich war schon Geschichte, als dessen Fußabdruck in 18,2 Metern Tiefe zum Stehen kam. Das waren ganze 13,4 Zentimeter mehr, als Albert Speer vorgegeben hatte. Dennoch hätte „Gebäude T“ gebaut werden können, urteilte 1948 die Deutsche Gesellschaft für Bodenmechanik (Degebo). Man hätte nur mit Rüttlung und Pfählen den Boden verdichten müssen.

Das Gebäude sollte der Wissenschaft noch einige Jahre dienen. Seine Messwerte fanden nicht nur im Hansaviertel und beim Corbusier-Hochhaus am Olympiastadion Anwendung, sie halfen auch bei der Erstellung der Grundbaunormen ein und trugen dazu bei, dass man heute so ziemlich alles über Bodenverhalten weiß. „Der Schwerbelastungskörper leistete einen wesentlichen Beitrag zur Forschung“, erklärt Richter, der von Speer nur als dem „Generalbauinspektor“ spricht.

In der noch jungen Disziplin der Bodenmechanik war es üblich, mit kleineren Lasten zu arbeiten und die Ergebnisse hochzurechnen. Dass der Generalbauinspektor auf dem Originalgewicht bestand, lässt sich nur als in Beton gegossene Absichtsbekundung verstehen. Im Übereifer wurde teils gar zu schnell gegossen, so dass der Zylinder im November 1941, als Arbeiter in die eroberten Ostgebiete abgezogen wurden, zu kippen begann, was nur durch hektisches Gegenbetonieren aufgehalten werden konnte. So hinterließ Speer statt eines Triumphbogens nur den schiefen Turm von Tempelhof.

Seitdem findet jede Unternehmung hier unter der Schwerstbedingung von 12 650 Tonnen Bodenlast statt. 1941 konnten die Kleingärtner, die sich auf dem früheren Garnisonsübungsplatz eingerichtet hatten, noch mit Entschädigungen verdrängt werden. Nach dem Krieg, als jede freie Fläche zum Gemüseanbau genutzt wurde, musste die Deutsche Gesellschaft für Bodenmechanik (Degebo) hart verhandeln, um das Gelände zurückzuerhalten. Kleingärtner gegen Großplanung: An der Papestraße wird seit 70 Jahren auch ein exemplarischer Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaftskörper ausgefochten.

Gemessen wurde hier bis 1984. Dabei drückten Pressen, die an die Unterseite des Belastungskörpers gespannt wurden, in das zu prüfende Material. „Totlast“, heißt das bei Bauingenieuren. Zur Finanzierung der Miete – das Grundstück war Senatseigentum – erwog die Degebo in den Fünfzigern, den Zylinder als Werbeträger zu verwenden. Doch die poröse, graue Elefantenhaut blieb unbehelligt. Später wollte der Deutsche Alpenverein eine Kletteranlage einrichten, in den Achtzigern erwog die Tempelhofer Bezirksversammlung, das Gebäude zu begrünen. Richter zeigt ein paar Nägel und Drähtchen für Efeuranken, die sich auf Hüfthöhe behauptet haben. Es scheint, als absorbierte das Gebäude jeden Eingriff.

Die Natur half sich selbst, Birken wuchsen aus dem aufgeweichten Zement des Dachs. Als der Bezirk das inzwischen denkmalgeschützte Gebäude 2002 übernahm, war das Gelände zugewuchert. Gemeinsam mit dem Unterwelten-Verein wurde ein Informationsort geplant; aus dem Projekt Stadtumbau West gab es überraschend Gelder für eine umfassende Sanierung. Die 913 750 Euro sorgten für Aufregung von der „NZZ“ bis zur „Zeit“: Der Pilz bleibt eine Provokation. Er passt so gar nicht in diese effizienz- und sicherheitsverliebte Epoche. Er ist ein Schmuddelkind, sein Laster ist die Eigenlast. Selbst trägt er nichts.

Ein Haus bezieht seine Rechtfertigung durch das Streben nach oben, durch das, was es dem Himmel entgegenbringt. Beim Schwerbelastungskörper drückt alles nach unten: eine Absurdität, die einen beträchtlichen Teil seines Reizes ausmacht. „Es ist unklar, wofür es steht“, sagt die Künstlerin Susanne Kriemann. „Ist es ein Gebäude, ein Objekt oder eine Skulptur auf einem Sockel, der im Boden steckt?“ Auf der Berlin Biennale 2008 mischte Kriemann bis zur Ununterscheidbarkeit Fotos von der Sanierung mit Archivfotos von 1951. Ihr Buch „12650“ versammelt 15 Zeitungsartikel, die seit Kriegsende zum Schwerbelastungskörper erschienen sind. „Auffällig war, dass darin das Gewicht immer variierte“, sagt Kriemann. „Zum 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs ging es sogar auf 40 000 000 Kilogramm hoch.“ So erzählt der stille Brüter weniger über sich selbst, als über die Gesellschaft, in der er steht.

Als der Prüfturm fertig war, wollte ihn auch Speer nicht mehr abreißen. Stattdessen sollte er unter der 120 Meter breiten Prachtstraße verschwinden, die in 14 Metern Höhe auf die Große Halle zuführen sollte. Eine Vorstellung davon lässt sich auf der ebenfalls 14 Meter hohen Aussichtsplattform gewinnen, die Michael Richter errichten ließ. Von hier schweift der Blick über das neue Berlin. Auf der Nord-Süd-Achse stehen heute die Hochhäuser des Potsdamer Platzes, am Standort der Großen Halle findet sich der Hauptbahnhof. Unten trägt ein Kleingärtner einen Laubsack zum Auto. Während die Zeit verstreicht, misst der Schwerbelastungskörper die Last der Geschichte.

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