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Kultur: Berliner Philharmonie: Sibirien ist überall

Wenn es ans Sterben geht, schreitet der Schlagwerker langsam von seiner großen Trommel zu den Röhrenglocken. Geich werden die schöne Tatjana und ihr schmucker Soldat Alexis noch einmal von den Glocken der Heimat und den ersten Frühlingsschwalben träumen, bevor sie im dichten sibirischen Schneetreiben untergehen.

Wenn es ans Sterben geht, schreitet der Schlagwerker langsam von seiner großen Trommel zu den Röhrenglocken. Geich werden die schöne Tatjana und ihr schmucker Soldat Alexis noch einmal von den Glocken der Heimat und den ersten Frühlingsschwalben träumen, bevor sie im dichten sibirischen Schneetreiben untergehen. Das winterliche Dekor müssen die Zuhörer sich bei der konzertanten Aufführung von Franz Lehars Oper "Tatjana" freilich dazudenken.

Der ambitionierte Jungkomponist Lehar zeigt sich schon in dieser 1906 uraufgeführten Oper als fertiger Operettenkomponist. Zwar gerät ihm das Russische gelegentlich recht spanisch, das Emotionale ziemlich sentimental, aber den großen Orchesterapparat benutzt er bereits ebenso souverän wie am Ende seiner Karriere in der Operette "Giuditta". Diese Musik ist arg vorhersehbar, gut gearbeitet und immer unterhaltsam. Sie funktioniert allerdings nicht von selbst, die ausführenden Künstler müssen ihr erst ein Ziel geben. Deshalb nimmt Dirigent Michail Jurowski auch die zweitklassigen Passagen so ernst, als wären sie erstklassiger Tschaikowski. Er verleiht jedem Takt Sinn und vorwärtstreibende Energie. Dem Rundfunk-Sinfonieorchester macht diese Musik jenseits von Beethoven und Mozart offenbar riesigen Spaß. Die Instrumentalsoli sind eingebettet in den symphonischen Fluss, der Streicherklang flirrend, kompakt, homogen. Das ist sehr nah an Operettenseligkeit.

Die Sänger reißen den Zuhörer jedoch gelegentlich aus den sentimentalen Steppenräumen. Dagmar Schellenberger in der Titelpartie geht in den Orchesterwogen unter, lange bevor sie in Sibirien das Leben aushaucht, und Herbert Lippert ist als Alexis fehlbesetzt. Beide Rollen verlangen nach Durchschlagskraft und nach mehr Farben, als diese Stimmen bieten können. Kurz vor Schluss dann doch noch einige Momente des Glücks, wenn die dänische Altistin Hanne Fischer in der kleinen Rolle der Raisa ihr Lied singt. Solch mühelos strömenden, perfekten Gesang möchten wir auch auf der Bühne öfter hören.

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