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Kristof Schreuf, 1963 -2022

© Buback

Bessere Zeiten klingen immer noch gut: Zum Tod des Musikers und Autors Kristof Schreuf

Mit seiner Band Kolossale Jugend brachte er die Hamburger Schule auf den Weg. Nun ist der „Bourgeois with Guitar“ überraschend gestorben. Ein Nachruf.

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Das erste, was in den Sinn kommt, nachdem man die unfassbare Nachricht von seinem Tod verdaut hat: Kristof Schreuf war ein Unvollendeter. Das aber hat ihn gar nicht gestört. Schreuf wusste nur zu gut, das so etwas wie künstlerische Vollendung ein ziemlicher Quatsch ist und Popstar zu werden nicht der Popweisheit letzter Schluss sein kann.

„Der Text ist meine Party, und mein Bild ist kein Messer“

Was hätte also, um gleich mit seinen Anfängen als Musiker zu beginnen, aus einer Band wie Kolossale Jugend groß werden sollen, nachdem sie Ende der achtziger Jahre mit den Alben „Heile heile Boches“ und „Leopard II“ die Hamburger Schule auf den Weg gebracht hatte? Eine Band wie Die Sterne, die heutzutage noch immer in kleinen Clubs spielt und der Zeit hinterher musiziert, in der sie auf dem Sprung war; oder wie Tocotronic eine Etage höher, aber ebenfalls dezent aus der Zeit gefallen?

Nein, die Mission von Schreuf und den Seinen schien erfüllt zu sein, als sie mit der Kolossalen Jugend deutsche Texte nach dem Niedergang der Neuen Deutschen Welle wieder salonfähig gemacht hatte, verpackt in skelettiert-scheppernden Punkrock; Texte, die gleichermaßen Bedeutung generierten wie sie manchen Sinn und Unsinn mischten: „Der Text ist meine Party, und mein Bild ist kein Messer“, „Denk an die Namen und brenne laut, ich will Zeit“, „Bessere Zeiten klingt gut, heile, heile Köpfchen singt“.

Als Blumfeld zum Inbegriff der Hamburger Schule wurden, ganz im Geist der Kolossalen Jugend, war der umtriebig-unruhige, intellektuell enorm bewegliche Schreuf schon wieder weiter. Er gründete eine neue Band, Brüllen, schrieb Zeitungstexte für die Feuilletons von „taz“, „Junge Welt“ oder Tagesspiegel (und er war selbst ein begeisterter Feuilleton-Leser, jedes Mal, wenn man ihn traf, musste er alles Mögliche daraus sofort besprechen, ein Bruder im Rainald-Goetz-Geist), saß hier auf Podien, versuchte sich dort an einer Prosa mit literarischem Anspruch.

„Anfänger beim Rocken“ sollte Schreufs Suhrkamp-Debüt heißen, angekündigt in einer Programmvorschau des Verlags in den frühen nuller Jahren. Einen Auszug las er 2003 beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt: „Wahrheit ist das, wovon Männer gerne behaupten, dass es ihnen um sie geht.“ Der Text käme ihr vor, als sei „er im Laufen gelesen, außer Atem“, urteilte Iris Radisch seinerzeit, vielleicht etwas überfordert von den vielen Sentenzen, Assoziationsketten und Widersprüchen, die hier pro Minute von Schreuf vorgetragen wurden.

Salingermäßig war es dann auch, dass „Anfänger beim Rocken“ nie erschien. Dafür veröffentlichte Schreuf später das großartige Soloalbum „Bourgeois with Guitar“. Der Titel allein ein Selbstporträt und Schreuf in seinen Songs ein wandelndes Popdiskurslexikon, in dem problemlos Indeeps „Last night a DJ saved my life“, Richard Hells „Blank Generation“ und die Stones zitatpopistisch miteinander verschmolzen wurden. Wie fragte Schreuf in einem Brüllen-Song: „Aber Mensch, gibt’s meine Sorte überhaupt noch?" Leider immer weniger, muss man inzwischen sagen. Am Mittwochabend ist Kristof Schreuf in Berlin gestorben. Er wurde nur 59 Jahre alt.

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