zum Hauptinhalt
Die Künstlerin Sarah Morris vor ihrem Gemälde „Courtship (Spinnennetz)“.

© Anna Gaskell

Bilder aus dem Bauch der Bestie: Die Kunst von Sarah Morris in Hamburg

Glamour als Werkzeug der Kapitalismuskritik? Die New Yorker Künstlerin Sarah Morris dringt mit ihren Gemälden und Filmen in die Machtzentren des Kapitalismus vor. Ihre Arbeiten sind in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen.

Von
  • Heiko Klaas
  • Nicole Büsing

Stand:

Sarah Morris, Jahrgang 1967, seziert in ihrem Werk die architektonischen Strukturen von Konzernzentralen und politischen Machtapparaten und interessiert sich für die ikonischen Bilder von den Megacities dieser Welt, die sich in unser aller kollektives Gedächtnis eingebrannt haben. „Die Kakofonie des Urbanen hat sie von Anfang an interessiert“, sagt Dirk Luckow, Intendant der Deichtorhallen in Hamburg und Kurator der Ausstellung „All Systems Fail“ mit über 180 Werken von Sarah Morris.

Geboren in England und aufgewachsen im amerikanischen Bundesstaat Rhode Island, studierte sie ab 1985 Semiotik und politische Philosophie an der Brown University in Providence und siedelte schon bald nach New York City über. Als bildende Künstlerin ist sie Autodidaktin. Sie lebt in Manhattan und betreibt dort ihr nach einem Filmtitel benanntes Studio „Parallax“. Es entstehen Gemälde und Filme, die jetzt auch das Herzstück ihrer Hamburger Mid-Career-Retrospektive bilden.

Interesse für Öffentlichkeit

Die sehenswerte Schau in der von studioMDA New York perfekt auf das Werk von Sarah Morris abgestimmten Ausstellungsarchitektur setzt ein mit Gemälden und Zeichnungen aus dem Frühwerk. Schon hier interessiert sich Morris dafür, wie die US-Öffentlichkeit funktioniert. Der Schriftzug „Liar“ etwa verweist auf die Clinton-Lewinsky-Affäre und die Zahl „666“ nicht etwa auf Teufelsverschwörungen, sondern auf eine einst angesagte Bar in Uptown Manhattan.

Sarah Morris, Beijing, 2008, Film Still.

© Sarah Morris

Schnell entwickelt Morris, die einige Jahre als Assistentin von Jeff Koons gearbeitet hat, in ihrer Malerei einen Signature Style. Gewagte Gitterstrukturen, repetitive Raster und schräge Perspektiven rekurrieren auf Wolkenkratzer aus der Nachbarschaft ihres ersten Studios in Midtown. Die präzise durchkomponierten Bilder in verführerischer Farbigkeit entstehen mit relativ simplen Mitteln: hochglänzendem Haushaltslack und Klebeband, das dann wieder entfernt wird. Strenges Kalkül statt individueller Pinselstrich.

Markante Farbigkeit

Stets sind nur Ausschnitte der Gebäude zu sehen. Aus strengen Rastern werden auf ihren Bildern komplexe Linienmuster, die teils auch Blicke ins Innere der Gebäude suggerieren. Vergleiche mit der Ästhetik des Neuen Sehens im Deutschland der 1920er Jahre mit seinen extremen Auf- und Untersichten drängen sich auf, auch wenn die markante Farbigkeit eher an Traditionen der von Männern dominierten Pop und Minimal Art erinnert.

In die Ausstellung integrierte Vitrinen mit Skizzen, Briefwechseln und Fotografien geben Einblicke in die Entstehung ihrer Filme. Sie illustrieren aber auch die bewundernswerte Hartnäckigkeit, mit der diese Powerfrau ihre Projekte gegen institutionelle Widerstände und behördliche Restriktionen durchgesetzt hat.

Ausstellungsansicht Sarah Morris „All Systems Fail“ in den Deichtorhallen Hamburg 2023.

© Henning Rogge

Kunst und Werbung

In zwei großen Black Boxes werden 15 dynamisch geschnittene Filme gezeigt, in deren Mittelpunkt jeweils die DNA einer Großstadt steht. Die Soundtracks in Form minimalistischer Electro-Loops steuert stets ihr ehemaliger Partner, der Künstler Liam Gillick, bei. Alle Filme funktionieren als „Flow“: Man sieht Szenen aus einer Saftbar in Rio, dann wieder nächtliche Autofahrten in Asien oder Jockeys auf Rennpferden. Aber auch die Produktion von Parfüm und Champagner des Luxuskonzerns LVMH, der im Besitz von Bernard Arnault, dem reichsten Mann Frankreichs, ist. Für dessen neues Museum im Pariser Bois de Boulogne produzierte Morris 2014 den Film „Strange Magic“, eine Auftragsarbeit, die aufgrund der prominenten Platzierung diverser Luxusprodukte die Grenzen zwischen Kunst und Werbung komplett verwischt.

Sündenfall oder Über-Affirmation als subtile Strategie? Dass sie mit ihren kapitalismuskritischen Projekten aus dem „Bauch der Bestie“ heraus operiert, hat Morris immer wieder betont.

Superstar des Kunstmarktes

Die Macht des Kapitals, Kontrolle und Kontrollverlust, die Power-Gesten durch Architektur – Themen dieser Art durchziehen das Werk von Sarah Morris, die im Ausstellungsbetrieb und auf dem Kunstmarkt längst zum Superstar geworden ist.

Doch auch an ihr ist die Corona-Pandemie nicht spurlos vorbeigegangen. „All Systems Fail“ – der Titel der Schau legt es nahe: Was passiert, wenn in unserer penibel durchorganisierten Welt plötzlich die eingespielten Routinen nicht mehr wie gewohnt funktionieren?

Sarah Morris reagiert darauf mit Bildern, auf denen sie sich erstmals nicht mehr mit menschengemachten Strukturen auseinandersetzt. Ihre von Spinnennetzen inspirierten „Spider Net Paintings“ zeigen irreguläre natürliche Gefüge, denen ganz andere Denkmuster zugrunde liegen als der gleichgeschalteten Welt der Konzern- und Machtzentralen. Netzwerke sind angesagt. Das Raster als Metapher unserer Gegenwart scheint allmählich ausgedient zu haben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })