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Der französische Schriftsteller Marcel Proust, 1871 -1922

© imago/Cola Images

100. Todestag von Marcel Proust: Bis zum letzten Zettelchen

Andreas Isenschmid, Roland Barthes, die 75 Blätter: Neue Veröffentlichungen zu Marcel Prousts 100. Todestag im November.

Es war im Frühjahr 1922, als Marcel Proust an den Schluss der unveröffentlichten, noch nicht endgültig fertigen letzten Teile der „Recherche“, den Fassungen von „Die Gefangene“, „Die Flüchtige“ und „Die wiedergefundene Zeit“, das Wörtchen „Fin“ setzte, Ende.

Zu seiner Haushälterin Céleste Albaret soll Proust danach gesagt haben, nachdem sie ihn auf die noch vor ihm liegende Arbeit von wegen der Korrekturen und Zusätze hingewiesen hatte, er sei bereit zu sterben: „Das, „Céleste, ist eine Sache für sich. Wichtig ist nur, dass ich von jetzt an nicht mehr besorgt bin. Mein Werk kann erscheinen. Ich werde mein Leben nicht umsonst geopfert haben.“

Ein paar Monate später, am Nachmittag des 18. November 1922, starb der Schriftsteller, laut Albaret im Beisein von ihr und seinem Bruder Robert. Die Totenwache hielt in der folgenden Nacht Prousts längster Freund Reynaldo Hahn.

Jüdisch von der ersten Zeile an?

Im November dieses Jahres nun jährt sich Prousts Tod zum 100. Mal. Deshalb kommen die für dessen Werk zuständigen Verlage nicht umhin, kurz nach dem 150-jährigem Geburtsjubiläum aus dem vergangenen Jahr auch diesen runden Todestag mit Veröffentlichungen zu feiern.

Allerdings sind es dieses Mal nicht so viele, zumal diese neuen Proustbücher sich über das ganze Jahr verteilen. Den Anfang macht Ende August der ausgewiesene Proust-Kenner Andreas Isenschmid mit seinem Großessay „Der Elefant im Raum“, der das Verhältnis des Schriftstellers zu seiner jüdischen Herkunft beleuchtet.

Proust wurde 1871 als Sohn einer jüdischen Mutter und eines katholischen Vaters geboren. Warum aber hat der Erzähler in der „Recherche“ keine jüdische Identität? Hat Proust versucht, seine Mutter, die in der „Recherche“ keinem speziellen Glauben angehört und eher als fromme Katholikin dargestellt wird, „teilweise von ihrem Jüdischsein zu erlösen“, wie Saul Friedländer meint?

Wie verhält es sich mit Swann, Bloch, der Dreyfuß-Affäre? All das dürfte Isenschmid debattieren. Prousts Hauptwerk sei, so der Hanser Verlag in seiner Vorschau, „jüdisch von der ersten Zeile der Entwürfe bis zum letzten Zettelchen aus der Todesnacht.“

Die niemals wiederkehrende Mutter

Pünktlich zum Jubiläum erscheint dann Mitte November ein Band mit den wichtigsten Texten von Roland Barthes zu Proust, als da wären Zeitschriftenbeiträge, Vorlesungsnotizen, eine Auswahl aus Karteikarten zu Proust (fast 3000 soll Barthes angelegt haben) sowie ein transkribiertes Radiointerview: „Spricht Barthes von Proust, spricht er meistens von sich selbst.“

Was bei Proust-Liebhabern keine Seltenheit ist. Wie mutmaßt es Friedländer, warum er im hohen Alter noch einmal über Prousts „Recherche“ schrieb: wegen der „Erinnerung an die niemals wiederkehrende Mutter.“ 

Schließlich, Anfang 2023, da ist das Jubiläum vorbei, anders als die Beschäftigung mit Proust, die immer eine lebenslange ist, veröffentlicht der Suhrkamp Verlag auch auf Deutsch die lange verschollenen, erst 2018 im Nachlass des Proust-Forschers Bernard de Fallois gefunden und 2021 bei Gallimard erstmals erschienenen „75 Blätter“, gewissermaßen die Ur-Recherche, die Blaupause.

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