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Szene aus „Ivan IV“ mit Shin Taniguchi, Mercedes Arcuri und Tomasz Wija.

© Christina Iberl

Bizets „Ivan IV“ am Staatstheater Meiningen: Eine Wahnsinns-Geschichte

Das Staatstheater Meiningen gräbt George Bizets Zaren-Oper „Ivan IV“ aus. Regisseur Hinrich Horstkotte will aber keine Parallelen an Putin ziehen. Und verzichtet auch ganz auf Folklore.

Als szenische Uraufführung einer lange verschollenen Grand Opéra hatte das Staatstheater Meiningen zunächst Georges Bizets „Ivan IV“ angekündigt. Intendant Jens Neundorff von Enzberg hatte 2021 mit „Ivan IV“ dort seinen Einstand feiern wollen - doch den Anforderungen, die eine aufwändige Grand Opéra stellt, konnte man unter Corona-Einschränkungen nicht nachkommen.

Neu ist dabei allerdings nur der fünfte Akt der Oper, der in den 1970er Jahren rekonstruiert wurde und bisher lediglich konzertant eingespielt worden ist. Doch bei einer szenischen Uraufführung ist mittlerweile die „Kammeroper St. Petersburg“ dem Theater Meiningen zuvorgekommen: Dort hatte diese fünfaktige Fassung bereits im Dezember 2022 Premiere.

Dass die Meininger Premiere nun ausgerechnet auf den 24. Februar, also den Jahrestag des Beginns des russischen Angriffskriegs fiel, war ein schon lange festgesetzter Termin, ihn wollte man im Nachhinein nicht verlegen. Eine Schweigeminute zu Beginn und Tücher mit der ukrainischen Flagge gemahnten daran.

Aber das Werk selbst hat wenig Bezug zu aktuellen Ereignissen. Sicherlich hat sich die Sicht auf das Werk im letzten Jahr deutlich gewandelt, zumal es um „Iwan, der Schrecklichen“ und seinem Drang zu Grausamkeiten und brutalen Feldzügen geht. Doch versucht man Parallelen etwa zu Putin zu ziehen, gerät man schnell in Sackgassen.

Komplexe Gefühle eines Politikers

Gerade der neu vorgestellte fünfte Akt zeigt den für tot gehaltenen und von seinem bösen Widersacher Yorloff zunächst ausgeschalteten Zaren als ausgleichenden versöhnlichen Herrscher. Der Regisseur der St. Petersburger Aufführung, Yuri Alexandrov, hatte sogar besonders darauf hingewiesen, dass Bizets Werk Verständnis mit der slawischen Welt zeige und eine Person vorführe, die zwar für Grausamkeit und Starrheit bekannt sei in der ganzen Welt, aber zur Hingabe fähig ist, ein im Grunde liebevoller Politiker, der komplexe Gefühle und Widersprüche durchlebe.

So positiv wie in St. Petersburg fällt das Bild von Ivan dem Schrecklichen allerdings in Meiningen nicht aus. Russische Zaren-Geschichte und der Kampf um den Kaukasus bilden in Bizet Oper allenfalls eine Folie vor der sich die psychischen Konflikten abheben, abgesehen davon, dass in „Ivan IV“ jegliche russische folkloristische Farbe in der Musik fehlt.

Ein Abend der starken Kontraste

Immer wieder peitscht Dirigent Philippe Bach die Meininger Hofkapelle effektvoll zu großen aufwühlenden psychischen Spannungen an: Mord und sogleich große Liebe, Heimatliebe und sofort Abwendung von der eigenen Herkunft. Die bipolaren Wandlungen vollziehen sich in großer Geschwindigkeit und in drei großen Wiedererkennungsszenen von Bruder und Schwester, Freund und Feind.

Szene aus „Ivan IV“ mit Mercedes Arcuri und Alex Kim
Szene aus „Ivan IV“ mit Mercedes Arcuri und Alex Kim

© Christina Iberl

Szenisch am eindrucksvollsten sind die Auftritte des Zaren als verirrtem Wanderer, als Totgeglaubtem, als Liebendem oder in einem Wahnsinnsanfall Zusammenbrechender (Tomasz Wija). Heldin von Bizets Oper ist aber die tscherkessische Prinzessin und später Gemahlin des Zaren Marie (Mercedes Arcuri): ihr widersprüchliches, schnell wechselndes Verhalten (Feindschaft und Verliebtheit) lebt sie in zwei geradezu atemberaubenden Arien aus. Beeindruckend unter einigen weniger effektvollen Nummern vor allem das Terzett jener drei, die sich unwissend gegen Marie verschworen haben: ihr Vater (Paul Gay), ihr Bruder (Alex Kim) und der äußerst boshafte Intrigant voller Falschheit der Bojar Yorloff (Shin Taniguchi)

Die in der Grand Opéra üblichen Ballettszenen fehlen, doch den Chor und Extrachor lässt Hinrich Horstkotte, Regisseur und gleichzeitig auch Ausstatter, etwa bei der Aufwartung des Volks anlässlich der Zarenhochzeit in traditioneller Choreographie tänzeln, ein äußerst personenreiches Tableaux.

Die Kostüme sind beinahe ausschließlich weiß und schwarz, fast abstrakt wirkt die Bühne mit weißen Quadern als kaukasische Bergfelsen, Brettern als Bäumen. Dunkle verschiebbare Wände begrenzen die Szene, lediglich das Hochzeitsbett des Zaren steht wie eine Ikone dazwischen. So der russischer Folklore entkleidet, legt Horstkotte den Kern von Bizets „Ivan IV“ frei: Oper als Diagnose von Wahnsinn und psychischen Widersprüchen.

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