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Blitz und Donner. Martin Scorsese stellt in New York „Rolling Thunder“ vor.

© imago images / MediaPunch

Scorsese-Doku über Dylan: Bob Dylan und sein Fake Blues

140 Minuten Tourneeausschnitte, Interviews, Roadtrip: Martin Scorsese hat eine Doku über die „Rolling Thunder“-Tour von Bob Dylan gemacht.

Sam Shepard schrieb das Logbuch, Allen Ginsberg gab die spirituellen Losungen aus und Joan Baez hielt wie immer zum „Tambourine Man“, trotz aller Verletzungen, die er ihr beigebracht hat über die Jahre. Bob Dylan: Nie wieder habe sie eine derart auratische Persönlichkeit erlebt, sagt die heilige Johanna der Folkszene in Martin Scorseses Film-Dokumentation „Rolling Thunder“, im Untertitel „A Bob Dylan Story“ (bei Netflix). Viele kommen zu Wort, die 1975/76 auf der Tour dabei waren. Auch der große Bob spricht, locker wie selten, wenn auch aus gewaltiger zeitlicher und emotionaler Distanz.

Dylan spielt Dylan. Er hat nie etwas anderes getan als Masken seiner selbst zu tragen. Auf der „Rolling Thunder“-Tour – sie wird als Rock- und Poetenzirkus beschrieben, chaotisch, improvisiert – trugen er und die Musiker tatsächlich Dylan-Maskerade. Joan Baez gab sich einmal als Bob aus, mit seinem Hut, imitierte seinen Tonfall und staunte, wie zuvorkommend sie plötzlich behandelt wurde. Dylan hatte bei den Konzerten weiße Schminke im Gesicht, im Stil der Kabuki-Theater-Akteure und der Pantomime. Scorsese schneidet die „Kinder des Olymp“ und noch ältere Schnipsel des Kinopioniers Georges Méliès hinein. Sind wir nicht alle Illusionisten, ein Alias von irgendwem?

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140 Minuten Tourneeausschnitte, Interviews, on the road: Dylan und Ginsberg besuchen Jack Kerouacs Grab. Scorsese hat mit „Rolling Thunder“ einen Film über die Poesie gemacht. Über den zukünftigen Nobelpreisträger für Literatur. Über die entscheidende Generation der Rockmusiker, die Mitte der Siebziger nicht mehr jung waren, aber auch noch nicht alt. Es ist ein Film über die USA, wobei die Krisen von damals – Richard Nixon kommt zu Wort – irgendwie unschuldig wirken. Programmatisch begann die Reise in Plymouth, New England – wo die ersten Siedler einst an Land gingen. Dylan besucht eine Indian Nation, der Chief schenkt ihm eine Kette mit Perlen, die seine Vorfahren von den Holländern bekommen haben sollen, im Tausch gegen Manhattan.

In solchen Momenten schleichen sich Zweifel an. Auch die Geschichte mit Sharon Stone, die als junge Beauty Queen mit 19 Jahren sich der Dylan-Tour anschließt, hat einen seltsamen Twist ins Irreale. Oft im Bild ist ein Filmemacher namens Stefan van Dorp, der die Tour begleitet hat – sagt er. Der Mann ist reine Fiktion, eine Scorsese-Erfindung. Dylan spricht mit Vergnügen über diesen van Dorp und spielt mit. Man denkt an Todd Haynes’ verdrehtes Biopic „I’m Not There“, mit Cate Blanchett als jungem Dylan.

Was bleibt?

Auf der Bühne artikuliert er seine Songs klar und scharf wie selten. Er rezitiert, skandiert, zerdrückt die Worte zwischen den Zähnen, schleudert ein Epos wie „The Lonesome Death of Hattie Carroll“ als eine Anklage gegen 200 Jahre US-Geschichte und Diskriminierung heraus. „Simple Twist of Fate“, lange schon klassisch, ist 1975 noch neu im Repertoire. Bestimmend für den Sound ist zu der Zeit – nachzuhören auf dem „Desire“-Album – die Geigerin Scarlett Rivera. Wenn sie in Dylans Mundharmonika-Läufe hineinsägt, stockt einem das Blut.

Was bleibt, was ist authentisch? Es scheint, als erfänden Scorsese und Dylan eine Vergangenheit, um die Trump-Gegenwart auszuhalten. „Rolling Thunder“ als Fake Blues. Dylan hat die Kampagne zur Freilassung des Boxers Rubin „Hurricane“ Carter unterstützt. Der war in einem rassistisch geprägten Prozess als Unschuldiger wegen Mordes verurteilt worden und kam erst nach zwanzig Jahren frei. Carter spricht schlau und bewegend über Dylan, der immer auf der Suche sei. Wonach? „Ich suche den Heiligen Gral“, sagt der Troubadour. Ein Witz. Eine große Ironie, in der die Wahrheit oder so etwas Ähnliches sitzt.

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