zum Hauptinhalt
James Bond (Daniel Craig) kennt seinen Platz hinter der neuen 007 Nomi (Lashana Lynch).

© Universal

Bond-Film „Keine Zeit zu sterben“: Der Spion, den wir liebten

Nach über einem Jahr kommt der 25. Bond-Film „Keine Zeit zu sterben“ endlich in die Kinos. Es ist der Abschluss einer Ära – und bereits ein Neuanfang.

Von Andreas Busche

Für einen Moment scheint die Zeit still zu stehen. 007 lenkt den Aston Martin entlang einer malerischen Küstenstraße am Golf von Policastro, neben ihm sitzt Madeleine. „Fahr schneller“, fordert sie ihn heraus. Doch Bond, der alte Connaisseur, genießt die Auszeit vom Agenten-Alltag, verständnisvoll entgegnet er lächelnd: „Wir haben doch alle Zeit der Welt.“

Dieses Idyll wirkt tatsächlich aus der Zeit gefallen, es passt weder in die Ära des Kalten Kriegers Connery noch zum knorrigen Daniel Craig, der Bond ein asketisches Arbeitsethos verschrieben hat. Einmal fordert er seine Partnerin auf geheimer Mission sogar auf, sich umzudrehen, während er sich in seine hautenge Tom–Ford-Couture zwängt. Man fragt sich ja schon länger, wie sich dieser James Bond derart maßgeschneidert im Nahkampf, auf Motorrädern und zu Wasser überhaupt so geschmeidig bewegen kann.

Es dürfte das letzte Mal sein, dass man sich solche Fragen stellt. Mit dem fünften Film von Daniel Craig geht eine Bond-Ära zu Ende, die immer etwas progressiver beurteilt wurde, als sie rückblickend tatsächlich war. „Keine Zeit zu sterben“ ist ein Film der kleinen und großen Abschiede. Man kann es schon für ein schlechtes Omen halten, wenn man die Flitterwochen mit der neuen Angebeteten an dem Ort verbringt, an dem die große Liebe beerdigt liegt. In Martera befindet sich das Grab von Vesper Lynd, die vor 15 Jahren in „Casino Royal“ starb.

Bond will noch einmal Abschied nehmen, um ein neues Kapitel mit Madeleine Swann (Léa Seydoux) – Psychologin, Tochter eines hohen Mitglieds der Terrororganisation Spectre und nicht zuletzt eine wahrlich Proust’sche Männerfantasie – zu beginnen. Der Besuch am Grab endet mit einem Anschlag; und einem unterkühlten Abschied am Bahnsteig. Hat Madeleine Bond verraten oder ist der Vorruheständler einem Komplott aufgesessen? Der waidwunde 007 dreht sich bei der Abfahrt nicht mal mehr um. Man kann diese Szene, auch so früh im Film (noch bevor Billie Eilishs Titelsong zu hören ist), durchaus als programmatisch verstehen.

Auf dem Dancefloor wirkt Bond immer noch fehl am Platz

Mit Cary Fukunaga („True Detective“) ist nach dem eher klassizistischen Sam Mendes ein Regisseur verpflichtet worden, der den Blick endlich nach vorne richten soll. Im Gegensatz zu den anderen Franchises der Gegenwart – „Star Wars“, Marvel – war bei Bond die Balance zwischen Tradition und Erneuerung besonders schwierig, weil man mit den „Bourne“-Filmen, „Mission Impossible“ und „Fast & Furious“ stets eine direkte Konkurrenz hatte, die selbst die Filme der Ära Craig manchmal behäbig aussehen ließ. In „Keine Zeit zu sterben“ trifft Bond seinen CIA-Kumpel Felix Leiter, wie immer verlässlich von Jeffrey Wright gespielt, in einem Nachtclub auf Jamaika, in dem (was sonst?) Reggaeton läuft. Craig wirkt auf dem Dancefloor reichlich deplatziert, vielleicht das deutlichste Zeichen, dass mit ihm ein „sowohl als auch“ nicht mehr zu haben ist.

Dass die Autorenstammkräfte Neal Purvis und Robert Wade – wohl nicht zuletzt mit Unterstützung von „Fleabag“-Erfinderin Phoebe Waller-Bridge – von „Mission Impossible“ und „Fast & Furious“ gelernt haben, zeigen schon die neue 007-Agentin Nomi (Lashana Lynch), die die Lizenz zum Töten vom deaktivierten Bond übernommen hat, und die CIA-Novizin Paloma (Ana de Armas), die im Feldeinsatz weniger blauäugig auftritt, als sie zunächst erscheint. Auf Kuba legt sie solo eine furiose Kampf-Choreografie hin.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Bonds Virilität ist hingegen in die Jahre gekommen: Für die nächste Generation ist er nur noch ein Mythos (Billy Magnussen spielt, nicht weniger staunend, einen CIA-Fanboy mit eigener Agenda), aber sicher kein Sexobjekt mehr. Bond läuft sowohl bei Lynch als auch bei de Amas auf. Unwidersprochen nimmt er auf der Vespa den Sozius hinter Nomi ein, das alte Selbstverständnis ist dahin. Stattdessen steht in „Keine Zeit zu sterben“ plötzlich sogar eine mögliche Vaterschaft im Raum.

Der 25. Bond-Film steckt voller Omen und Vorzeichen. Craigs Satz „Wir haben doch alle Zeit der Welt“ (eine schöne Selbstlüge natürlich) findet einen Nachklang im Abspann, in dem Louis Armstrong noch einmal das Titellied „We Have All the Time in the World“ aus „Im Geheimdienst ihrer Majestät“ singt. George Lazenby war in seinem einzigen 007-Auftritt 1969 der romantischste aller Bonds, sogar die Hochzeitsglocken läuteten kurz. Am Ende stirbt Diana Rigg bei einem Anschlag auf einem Bergpass, ein Spiegelbild der Szene mit Craig und Seydoux.

Ein neues Virus bedroht die Menschheit

Es scheint, als würden die Nachlassverwalter um Barbara Broccoli das runde Jubiläum gleichzeitig für eine notwendige Zäsur nutzen. Das Dilemma der Craig-Ära, immer zugleich zurück und nach vorne schauen zu müssen, beschwert allerdings auch „Keine Zeit zu sterben“, der in 163 Minuten deutlich mehr Handlung als spektakuläre Action bietet. Das Bond-übliche Präludium in Martera ist bislang mit Abstand das längste in der gesamten Reihe, fast ein Film-im-Film. Und schon da geht es um ein Kindheitstrauma, das von Madeleine, die als Kind mitansehen musste, wie Lyutsifer Safin (Rami Malek) ihre Mutter tötete. Der erweist sich dann auch als eigentliches Mastermind hinter Bonds letzter Mission wider Willen.

Felix Leiter überredet den Privatier (immer noch herzensgebrochen vom vermeintlichen Verrat, fünf Jahre nach dem Abschied von Madeleine), der CIA zu helfen, den mitsamt seiner Geheimwaffe „Heracles“ zu Spectre übergelaufenen Wissenschaftler Obruchev (David Dencik) zurückzuholen. Dieser Hightech-Gimmick ist ziemlich eindrucksvoll: eine Biowaffe, die sich mit Hilfe von DNS-Samples und Nanobots zielgenau auf einen Menschen programmieren lässt. Der Clou dieses neuartigen Virus besteht darin, dass er in den Laboratorien des MI6 im Auftrag von Gareth „M“ Mallory (Ralph Fiennes) entstand: ein buchstäblich klinisches Tötungsinstrument, effektiver als jede Drohne.

In den Händen von Safin, der sich mit Cyberhacks Millionen von DNS-Daten weltweit beschafft hat, könnte „Heracles“ allerdings auch zur perfekten Massenvernichtungswaffe umfunktioniert werden. Sein Hauptquartier befindet sich in einer verlassenen Militärbasis auf einer Insel zwischen Russland und Japan. Der wahre Schlüssel in seinem Plan ist jedoch die Macht, die er über die Leben von Bond, Madeleine und deren Tochter Mathilde ausübt.

James Bond (Daniel Craig) gibt die Lizenz zum Töten endgültig ab.
James Bond (Daniel Craig) gibt die Lizenz zum Töten endgültig ab.

© Universal

Geopolitisch war der Einzelgänger Bond schon immer ein freies Radikal. In „Keine Zeit zu sterben“ findet er allerdings, erholt aus dem Vorruhestand zurückgekehrt, eine andere Weltordnung vor. Zwar gehörten die Kabbeleien zwischen den Geheimdiensten schon immer zur Bond-Folklore, aber der gescheiterte Alleingang von „M“ (die Entwicklung von „Heracles“, um britische Hegemonialansprüche zu untermauern) wirft auch einen Schatten auf die Glorie des einstigen Imperiums, dem der Brexit offenbar arg zugesetzt hat. Dass Bond zunächst lieber mit den Amerikanern als mit den Engländern kooperiert, ist nicht nur der Freundschaft zu Leiter geschuldet. Die neuen globalen Machtverhältnisse erfordern Flexibilität. Wie Frankreich im jüngsten „U-Boot-Krieg“ mit Amerika ist auch England, selbst für einen Patrioten wie Bond, nicht der erste Ansprechpartner als Verteidiger der westlichen Welt.

Craig wirkt in seinem letzten Film melancholisch

Als die britische Flotte in den internationalen Gewässern vor der Küste Russlands auf ihren Einsatz wartet, sitzt ihr nicht nur die russische, sondern auch die amerikanische und sogar die japanische Luftwaffe im Nacken. „Es wird immer schwieriger, Gute und Böse voneinander zu unterscheiden“, meint Leiter einmal zu Bond. Craig scheint den ganzen Film über eine gewisse Melancholie anzuhaften. Seine Liebe zu Madeleine könnte auch sein Todesurteil bedeuten, warnt ihn sein Erzfeind Blofeld (Christoph Waltz in einem kurzen, aber bedeutungsvollen Cameo), der aus einem Hochsicherheitsgefängnis weiter die Organisation Spectre kontrolliert. Er und Bond haben in Safin einen gemeinsamen Feind. Nicht nur die geopolitischen Allianzen verschieben sich in „Keine Zeit zu sterben“.

(In 32 Berliner Kinos, auch OF/OmU)

Diese komplizierte Gemengelage, die sowohl in die privaten als auch in die globalen Verhältnisse hineinwirkt, macht „Keine Zeit zu sterben“ zu einer Art modernem Königsdrama. Für einen Agentenfilm ist das nicht immer von Vorteil. Die fünf Filme mit Craig bilden inzwischen einen eigenständigen Handlungsbogen im Bond-Gesamtwerk; dadurch hat sich aber auch viel psychologischer Ballast angehäuft, dessen sich Fukunaga kaum entledigen kann. Zwischen den makellosen Actionsequenzen, die allerdings – auch das ein Nachteil etwa gegenüber „Mission Impossible“ – keine Maßstäbe mehr setzen, überwiegt gelegentlich das Pathos; noch verstärkt durch die Musik von Hans Zimmer.

Oscar-Preisträger Rami Malek (für seine Rolle als Freddie Mercury) vollbringt das Kunststück, seine cartoonhafte Schurkigkeit flüsternd-lächelnd hinter einer starren Gesichtsmaske subtil zurückzunehmen. Damit verdient er sich eigentlich einen Platz im Pantheon der Bond-Endbosse, leider nur hat das Autorenteam vergessen, ihm eine denkwürdige Szene zu schreiben.

Dafür haben sie beim „Marvel Cinematic Universe“ scheinbar umso genauer hingeschaut. Zumindest danach zu urteilen, mit welcher Konsequenz sich „Keine Zeit zu sterben“ wirklich langjähriger Bond-Weggefährten – nicht zu vergessen: Ian-Fleming-Figuren – entledigt. So sehr der Film auch die Traditionalisten zu beschwichtigen versucht, Fukunaga schafft in einigen Punkten Tatsachen, die unmissverständlich auf das Ende einer Ära hindeuten. Und zwar nicht bloß hinsichtlich der Frage, welche Hautfarbe oder welches Geschlecht James Bond künftig haben sollte. Die Ära Craig ist der richtige Zeitpunkt für einen so radikalen Schnitt. Er hat James Bond in der Gegenwart ankommen lassen. Sein:e Nachfolger:in muss ihn jetzt für die Zukunft fit machen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false