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Britische Kinokomödie „The Ballad of Wallis Island“: Fanliebe kann heilen
Der kauzige Lotteriegewinner Charles will seine Lieblingsband für ein Konzert wieder vereinen. „The Ballad of Wallis Island“ ist eine berührende Komödie über Fanliebe, Verluste, Gewinne und den Trost der Musik.
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„Gibt’s hier keinen Hafen?“, ruft Herb McGwyer seinem Gastgeber Charles Heath entgegen, als er der wackeligen Nussschale entsteigen will, die ihn nach Wallis Island gebracht hat. „Doch, dies ist ein Naturhafen“, antwortet Insulaner Charles, der mit Wathose und Willkommensschild im Wasser steht, um den Musiker samt Gitarrenkoffer und Reisetasche zu empfangen.
Wenig überraschend, dass der arrogante Sonnenbrillenträger Herb dann erst mal einen Bauchklatscher macht.
Doch so absehbar, wie die Versuchsanordnung von James Griffiths Komödie „Superfan will seine Lieblingsband auf einer gottverlassenen Insel zu einem Reunionauftritt bewegen“ klingt, verläuft die Geschichte von „The Ballad of Wallis Island“ dann gar nicht.
Was beginnt wie eine dieser britisch-irischen Feelgood-Komödien mit kauzigen Dörflerinnen und Dörflern, Bauern oder Arbeitern, die sich zu irgendwas Unerhörtem aufraffen, entpuppt sich als melancholisch-lakonische Geschichte über Verluste, Lebenslügen und – so viel Konzession an die Komödienmechanik muss sein – hoffnungsvolle Aufbrüche.
Einmal noch das Indie-Folk-Duo McGwyer Mortimer, das vor neun Jahren seine Karriere kurz vor dem ganz großen Durchbruch beendete, bei einem gemeinsamen Auftritt erleben. Das ist der Traum von Charles Heath, der allein in einem mittelalterlichen Herrenhaus an der walisischen Küste auf der (fiktiven) Wallis Island lebt.
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Im Gegensatz zu Nell Mortimer (Carey Mulligan), die fertig mit dem Popbusiness ist, hat Herb McGwyer (Tom Basden) solo weitergemacht. Geld brauchen sie beide. Also ködert Lotteriegewinner Charles, eine kindlich begeisterte Nervensäge, die beiden mit Koffern voller Scheine, für die er sich selber nicht weiter interessiert.
Tiefe Narben im Seelenkostüm
Die kühle, blaugrüngraue Schönheit des Eilands, der heruntergerockte Herrensitz und die Retro-Tennisklamotten von Charles, der zwar einen eigenen Rasenplatz, aber vor der Ankunft von Herb keinen Spielpartner hat, bilden ein stimmiges Setting für die Wiederannäherung des einstigen Traumpaars Herb und Nell.
Schnell wird klar, dass sie auch abseits der Bühne ein Liebespaar waren und der Bruch tiefe Narben in Herbs Seelenkostüm hinterlassen hat. Nell, die kurzerhand ihren Ehemann mitgebracht hat, klebt – anders als Herb – nicht mehr an der gemeinsamen Zeit.

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Dass „Herb“ Tom Basden, der zusammen mit „Charles“ Tim Key auch das Drehbuch der Komödie verfasste, 25 puristische Folksongs für das Filmduo McGwyer Mortimer geschrieben hat, schafft einen wehmütigen Resonanzraum aus zwei Stimmen und einer Gitarre. Basden und Key, deren holperiges Miteinander auf der Insel sich zur Buddy-Konstellation entwickelt, sind ein eingespieltes Team, was Komödientiming angeht. Die britischen Comedians und Autoren arbeiten regelmäßig zusammen.
Devotionalien der Popstars
„Oh, das ist ja meine Gitarre!“, staunt Herb und deutet auf ein lange vermisstes Instrument an der Wand der Orangerie, wo er und Nell ihren Strandauftritt vor einer Person am nächsten Tag proben wollen. „Die habe ich auf einer Auktion ersteigert“, erzählt Charles und verblüfft Nell damit, dass er nicht nur sämtliche Alben und Zeitungsartikel über McGwyer Mortimer gesammelt hat, sondern auch eine Locke von Nell, die sich als Fake-Devotionalie entpuppt. „Haare habe ich nie versteigert!“, da ist sie sich sicher.

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„The Ballad of Wallis Island“ erzählt nicht nur vom Trost durch Musik, die sogar den Verlust geliebter Menschen ertragen hilft, sondern auch von der unbedingten Hingabe des Fantums. Selbst Skeptiker Herb, der vom quasselnden Charles bis ins Schlafzimmer verfolgt wird und seinen Gastgeber anfangs für einen Psychopathen hält, gibt sich irgendwann dessen zärtlicher Fanliebe geschlagen. Und ganz nebenbei entdeckt er beim Ringen um die Trockenlegung seines abgesoffenen Mobiltelefons mittels einer Packung Reis auch vergessene künstlerische Standards wieder. „Künstler lassen ihre Zähne nicht bleichen, das ist ein Grundsatz“, herrscht Herb in der Insel-Telefonzelle seinen Agenten an.
Carey Mulligan weiß um den Folkspirit
Der hat ihm ein Foto vom Cover des geplanten neuen Albums geschickt, auf dem er in affiger Popstarpose ein verdächtig weißes Hollywood-Gebiss bleckt. Um den Anspruch geerdeter Authentizität, der im Label „Folk“ steckt, weiß auch Carey Mulligan. Nicht nur, weil sie bei den Coen-Brüdern in „Inside Llewyn Davis“ bereits eine Folksängerin verkörpert hat, sondern weil sie mit Marcus Mumford, dem Frontmann der Folkrockband Mumford & Sons, verheiratet ist.
Dass die Komödie auch eine bleibt und trotz berührender Gesangspartien, persönlicher Offenbarungen und einem Grundgefühl der Vergänglichkeit nicht in Sentimentalitäten abrutscht, ist gleichermaßen Buch, Schauspiel und der Natur geschuldet.
Vor allem dem wogenden Meer vor der Küste von Wales, das tausend Schattierungen von Grau, auch Gelegenheiten zur Heilung, aber keinerlei Gewissheiten kennt.
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