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Dynamisch und sympathisch. Bruce Springsteen bei seinem Berliner Auftritt. Foto: Clemens Bilan/dapd

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Bruce Springsteen: Der große Tröster

Kernige Posen, nette Gesten, viele Hits: Bruce Springsteen und die E Street Band spielen eine fulminante dreistündige Rock-Show im ausverkauften Berliner Olympiastadion.

Sportstadien sind Emotionsspeicher. Euphorie, Enttäuschung, Freude, Wut schreiben sich in die Zuschauerränge, das Spielfeld und die Katakomben ein. Wird eine Arena abgerissen, ist das schmerzhaft für alle, die darin gespielt, gezittert und gejubelt haben. Für Bruce Springsteen ist das Giants-Stadion in New Jersey so ein Ort. Mit der E Street Band ist er unzählige Male dort aufgetreten. Vor zwei Jahren wurde es abrissen, was ihn zu dem Song „Wrecking Ball“ inspiriert hat, dem Titelstück seines aktuellen Albums.

Bildergalerie: Impressionen vom Bruce Springsteen-Konzert in Berlin

Als er seine Klage im ausverkauften Berliner Olympiastadion anstimmt – zunächst nur von Hi-Hat und Klatschen begleitet – ist das ein erster kleiner Höhepunkt eines an Höhepunkten reichen Abends. Und man denkt kurz: Seltsam eigentlich, dass die Abrissbirne dieses von den Nazis errichtete Stadion nie erwischt hat. Heute bietet es eine perfekte Kulisse für den Boss und seine 15-köpfige Band. Die Bühne steht auf der Gegengeraden, wodurch die Hälfte der Sitzplätze leer bleibt. Dafür sind die Zuschauer im Innenraum näher am Geschehen. Nähe – genau darum geht es dem Mann aus New Jersey. Er macht Ansagen in sympathischem Holper-Deutsch, er kommt oft auf den kleinen vorgelagerten Laufsteg, schüttelt Hände, nimmt Plakate entgegen, tanzt mit einer Sanitäterin und lässt sich kurz auf Händen tragen. Diese Ausflüge wirken ausgesprochen herzlich und nicht so, als seien sie eine lästige Pflicht. Bei „Waitin’ on a Sunny Day“ holt Springsteen sogar ein Kind auf die Bühne, gibt ihm das Mikrofon und wuchtet es schließlich mit einem eleganten Ruck auf seine Schulter.

Der Sänger ist in beeindruckender Verfassung. Trotz seines großen Laufpensums scheint der 62-Jährige während der dreistündigen Show kein bisschen zu schwitzen. Er hat immer genug Luft und zeigt das volle Posenspektrum: breitbeiniges Akkord-Schrubben, Gitarrenhals-Hochreißen, Fäusteballen und Zum-Himmel-Zeigen. Seine Rolle ist und bleibt die des ehrlichen Rock-Arbeiters. Sie steht ihm gut und man nimmt sie ihm nach wie vor ab.

Breitwandpathos im Flutlicht

Bruce Springsteen ist ein Rock-Gigant, der geliebt werden will und geliebt wird. Ganz anders als sein rund zehn Jahre älterer Kollege Bob Dylan, der einen Tag zuvor mit Sonnenbrille und verkniffenem Gesicht von US-Präsident Barack Obama die Medal of Freedom entgegennimmt. Ihn kann man höchstens verehren, er gibt sich stets distanziert und geheimnisvoll. Undenkbar, dass er im Konzert spontan einen Song-Wunsch aus dem Publikum erfüllt. Springsteen ziert sich nicht und spielt „Hungry Heart“ – zwei Stunden bevor er es eigentlich geplant hatte.

Seine Bodenständigkeit und Konstanz haben etwas ungemein Tröstliches, zumal in turbulenten Zeiten wie diesen. Er ist ein großer Vereinfacher, der auf „Wrecking Ball“ einfach mal seine geballte Wut gegen Spekulanten, Banker und Ausbeuter rausbrüllt. Dass er selbst ein Profiteur dieses großen Spiels namens Kapitalismus ist und mit seiner Kanalisierung der Empörung ins Unterhaltungsformat selbst zur Stabilisierung dieses Systems beiträgt, steht an diesem Abend auf einem anderen Blatt. Hier geht es um Wärme, Gemeinschaft und das Gefühl, dass es noch unkorrumpierbare gute Typen gibt. All das strahlt Springsteen mit seinen verwaschenen Jeans und den aufgekrempelten Ärmeln geradezu idealtypisch aus. Noch dazu scheint er Spaß an seiner Arbeit zu haben – genau wie die Band. Nils Lofgren dreht sich bei seinem langen „Youngstown“-Solo wie ein Derwisch, Geigerin Soozie Tyrell fidelt mit wehendem Haar die vielen Roots-Music-Elemente im ersten Konzertteil und Steve Van Zandt – natürlich mit Bandana – kommt gern mal zum Mitsingen ans Mikro zu Springsteen. In der fünfköpfigen Bläsersektion spielt Jake Clemons Saxophon. Er ist der Neffe des im letzten Jahr verstorbenen Clarence Clemons, dem am Ende eine kurze, umjubelte Dia-Schau gewidmet ist. Jake macht seine Sache dezent gut, erst bei „Dancing in The Dark“ nach fast drei Stunden hat er einen extralangen Soloauftritt.

Das Zentrum der Rock-Welt liegt an diesem Abend in Berlin

Zum Auftakt spielt die Band ein Stück, das sie laut Springsteen nur für diesen Abend einstudiert hat: „When I Leave Berlin“, eine Coverversion des Briten Wizz Jones aus dem Jahr 1973 – eine hübsche, folkrockige Überraschung. Anschließend dominieren Stücke von „Wrecking Ball“, die im Stadion zu ihrer wahren Bestimmung kommen. Plötzlich passt das Breitwand- Pathos von „We Take Care Of Our Own“ und das enervierende Herumgereite auf dem Leitmotiv fällt gar nicht mehr so auf. Leider ist der Sound bei den lauten Stücken ziemlich übersteuert.

Weniger überzeugend sind die Gospel-Exkursionen. Wenn Springsteen wie ein Prediger immer wieder ruft „I wanna know who’s in the house tonight“ oder ein entrücktes „I’m a soldier“ herauspresst, wirkt er wie ein übermotivierter Schauspieler. Seine drei Background-Sängerinnen können sich noch so sehr mühen, Gottesdienstatmosphäre kommt nicht auf. Dafür geht es auch zu schnell mit anders gelagerten Songs weiter.

Nach eineinhalb Stunden ist es endlich dunkel im Stadion und die Bühne erstrahlt in blauem Licht. Als Bruce Springsteen die ersten Takte von „The River“ auf der Mundharmonika bläst und diese Jahrhundertballade langsam abhebt, ist das dann doch ein wahrhaft andächtiger Moment – jetzt stimmt alles. Und wenn die Band anschließend gleich zu „The Rising“ vom gleichnamigen 9/11-Album übergeht, versteht man, warum dieser Mann mit der abgeschabten Fender Telecaster und dem Schweißband am Handgelenk in seiner Heimat fast wie ein Heiliger verehrt wird. Denn er weiß, wie er seine Landsleute wieder aufrichten kann. Und sei es mit einem Refrain, der einfach „Lei, lei, lei, lei, lei, lei, lei, lei“ lautet. Groß.

Zur finalen Greatest-Hits-Abfahrt, die mit „Born in the USA“ und „Born To Run“ beginnt, wird die Dachbeleuchtung des Olympiastadions eingeschaltet, kurz darauf auch das Flutlicht. Wahrscheinlich soll auch vom All aus zu sehen sein, dass das Zentrum der Rock-Welt für ein paar Minuten in Berlin liegt. Als die Strahler verlöschen, bleibt ein Lächeln auf den Gesichtern der 58 000 Fans. „Besser geht’s nicht“, „Von denen können viele Bands noch was lernen“, sagen sie. Am treffendsten bringt es ein langjähriger Springsteen- Fan aus Kreuzberg auf den Punkt: „Erstligaauftritt im Zweitligastadion!“

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