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Was nach der Flucht übrigbleibt, passt bei Pawel Althamer in einen Koffer: „Yevgen“ ist entstand in diesem Jahr.

© Pawel Althamer. Courtesy the artist and neugerriemschneider, Berlin. Photo: Jens Ziehe

Bücher und Dinge: Eine Ausstellung über die Lust am Besitzen

in Berlin verdichtet Neugerriemschneider das Thema zu einer Ausstellung, an der sich alle Künstler:innen der Galerie beteiligen

Von Dorothea Zwirner

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Schon ihr Titel „The power and pleasure of books and possessions” macht neugierig auf die Ausstellung der Galerie Neugerriemschneider, in der sämtliche 26 Künstler:innen ihres Programms zu einer Gruppenausstellung zusammengebracht hat. Unter den beiden Begriffspaaren, die jeden Sammler und Buchliebhaber aufhorchen lassen, werden rund 80 Werke – Gemälde, Fotos, Skulpturen, Buchobjekte und Installationen– dicht gedrängt in zahlreichen Vitrinen zwischen einer wandfüllenden Webarbeit und einer Petersburger Hängung wie in einer Wunderkammer präsentiert.

Um die Wirkung noch zu steigern, führt der Zugang nicht wie üblich über die linke Treppe direkt in den Ausstellungsraum, sondern über den Umweg der rechten Treppe und lenkt den Blick sogleich auf die mit rund 3 x 8,5 Metern passgenaue Reproduktion der Bibliothek der Künstlerin Pae White, die sich erst von Nahem als zweiteilige Tapisserie herausstellt. „Bookshelf South & Bookshelf North“ von 2013 setzt den atmosphärischen Ton komprimierter Gelehrsamkeit und historischer Verankerung in dieser Kunstkammer, die voller Überraschungen und Augentäuschungen steckt. Forschen, Sammeln, Ordnen und Bewahren sind hier nicht nur angestammte Aufgabe der Museen, sondern auch genuin künstlerische Impulse, um unsere Welt abzubilden und besser zu verstehen – sei es durch Simulationen, Reproduktionen, Verfremdung oder Verdichtung.

Olafur Eliasson zeigt ein Buch aus Glas

Als Inspiration stand die traditionelle koreanische Stilllebenmalerei „Chaekgeori“ Pate, die Bücherregale mit diversen Gegenständen und Kostbarkeiten zum Sujet hat. Diese seit dem 18. Jahrhundert beliebten Arrangements demonstrieren nicht nur persönliche Schätze, sondern sind gleichzeitig eine Präsentationsform, die die Kunst des Ausstellens mit dem Porträt des Sammlers verbindet. Dabei dienen illusionistische Trompe-l’oeil-Effekt dem intellektuellen Spiel des Entdeckens und Versteckens, das bis heute seinen Reiz nicht verloren hat, besonders in materiellen Verfremdungen.

Unter den „Büchern und Dingen“, so die Übersetzung von Chaekgeori, ist das Buchobjekt das Medium par excellence. Während Olafur Eliasson seine langjährige Erforschung von Farbwahrnehmungen und optischen Phänomenen in „A View Becomes a Window“ von 2013 bündelt, in dem er bunte mundgeblasene Glasscheiben mit elliptischen Öffnungen wie Buchseiten zusammenbindet, lässt Tomás Saraceno seine anhaltende Spinnenforschung in dem filigranen Pop-Up Scherenschnittbuch „From Arachnophobio to Arachnophilia“ von 2022 münden. Dem wie ein aufgestelltes Buch aus verflochtenen Furnierholzstreifen gebauten „Parkhaus Köln – Ausgabe A“ von 2009 mit seinen winzigen Spielzeugautos sieht man die serielle Handschrift von Thomas Bayrle an, während Simon Starling mit minimalistischer Eleganz eine ganze Tischvitrine mit den 48 Dummies seiner sämtlichen Kataloge in verschiedenen Weißtönen und Formaten füllt.

Die Leidenschaft für unterschiedliche Sammelgebiete zeigt sich in Eliassons Regalskulptur mit aquarellierten Treibhölzern von 2020 ebenso wie in Ai Weiweis Gruppe der „Cosmetics“ von 2014, für die der chinesische Künstler Kosmetikdosen und -flakons aus Jade nachgebildet hat. Während Antje Majewski ausgestorbene Apfelsorten porträtiert, sammelt die indische Künstlerin Shilpa Gupta seit 2018 Glasfläschchen, in die sie Auszüge aus Gedichten von Autor:innen gesprochen hat, die aufgrund ihrer Werke unterdrückt oder inhaftiert wurden.

Trauer und Triumph über den Krieg

Was sich zum Künstlerbuch verdichten oder als Sammelgebiet entfalten lässt, folgt pars pro toto einem ordnenden und bewahrenden Zugriff. Dagegen reproduziert Pawel Althamer in seinem dreistöckigen Puppenhaus von 2020 eine ganze Welt im Kleinen, die auf veristische und nahezu unheimlich Weise vor Augen führt, wie der polnische Künstler mit seiner ersten Frau anfangs davon lebte, Puppen herzustellen. Geradezu schmerzhaft nah rückt einem seine jüngste Arbeit „Yevgen“ von 2023, die nach Althamers aus der Ukraine geflüchteten Künstlerfreund benannt ist. In einem abgewetzten Koffer sehen wir eine Rückenfigur mit verstreuten Malutensilien in einer Trümmerlandschaft sitzen. Ein kreisrundes Loch im Kofferdeckel bildet den Mond, der im Sternenhimmel über der brennenden Stadt leuchtet. In dem mobil-morbiden Szenario verbinden sich Trauer und Triumph über Krieg, Flucht und Verlust zum ergreifenden Eckstein für „The power and pleasure of books and possessions“.

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