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Atelier Feri Schwarz: Bühnenbild zur Festoper „Il pomo d’oro“ von 1668

© Foto: KHM-Museumsverband, Theatermuseum Wien

Bundeskunsthalle Bonn: Bühne des Lebens

400 Jahre Musikgeschichte: Eine Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle feiert die unmöglichste aller Kunstformen - die Oper

Von Regine Müller

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„Die Oper ist tot – Es lebe die Oper!“: Der Titel der üppig bestückten Schau in der Bonner Bundeskunsthalle ist ein wohl kalkulierter Etikettenschwindel, denn hier wird weder der Beweis angetreten, dass die Oper tot sei, noch wird ihre lebendige Gegenwart bezeugt. Aber immerhin macht die leise Provokation neugierig. Die gute alte Tante Oper hat bis heute mit eingefleischten Vorurteilen zu kämpfen. Sie sei gestrig, ist noch eines der harmloseren.

Tatsächlich besitzt Deutschland mit über 80 Opernhäusern die höchste Operndichte weltweit und bietet damit weit mehr Menschen ein Live-Opernerlebnis als etwa Italien, das Mutterland der Oper. Niemand wird gezwungen, all‘ diese Opernhäuser zu besuchen, die heute selbst in Krisenzeiten noch besser dastehen als die mit bröckelndem Publikum kämpfenden Sprechtheater. Was als Beweis genügen dürfte, dass die Oper nicht tot ist. Weil sie eben vielen ihrer Klischees längst entwachsen ist.

Eine opulente Rückschau

Die Bonner Ausstellung in der Bundeskunsthalle interessiert sich jedoch ganz gezielt nicht für die Oper in ihren vielfältigen Spielarten der Gegenwart – was auch deshalb ein bisschen verwundert, weil ebenda ein ambitioniertes Opernhaus steht, das immer wieder mit Repertoire-Ausgrabungen überregional von sich reden macht und überhaupt Experimenten nicht abgeneigt ist. Nostalgie und Rückschau ist also Programm dieser überaus opulent gemachten Schau, die sich von den Anfängen der Oper im Florenz Ende des 16. Jahrhunderts in großen Sprüngen bewegt und mittels multimedialer Aufbereitung via Audio-Guide auch viele akustische und filmische Leckerbissen bietet.

Schlaglichtartig beleuchtet werden die Zeiten der Gattung, als Opernhäuser vor allem Neues produzierten, umstrittene und bejubelte Uraufführungen herausbrachten und damit Musikgeschichte schrieben. So gesehen wird aus der limitierten Sicht unter Ausblendung der Gegenwart eine konsequente Dramaturgie, wird doch heute überwiegend Repertoire gespielt, während neue Opern rar sind, und häufig nach der ersten Aufführungsserie auf den Friedhof der Uraufführungen umgebettet werden.

Aus der ersten Florentiner Zeit der Oper sind Bühnenbild-Modelle zu sehen, außerdem Partituren. Per Kopfhörer lassen sich Einführungstexte hören sowie exemplarische Einspielungen der „Intermedien“ und Opern von Jacopo Peri, Claudio Monteverdi und anderen Musiktheaterpionieren.

Das nächste Kapitel widmet sich dem barocken Opern-Boom in Venedig, erklärt die enorme Konkurrenz in der Lagunenstadt und die Geschäftsmodelle der Opernunternehmer und zeigt wiederum Bühnenbildmodelle von staunenswertem Reichtum, und Gemälde, die festliche Aufführungen als wahre Orgien der üppigen Repräsentation dokumentieren.

Giacomo Puccini und Arturo Toscanini im Jahr 1910

© Foto: Music Division, The New York Public Library.

Sodann schwenkt die Schau nach London, in die Zeit Händels und des wachsenden Star-Kults um die Kastraten Senesino, Cafarelli und Farinelli und die Diven Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni. Berühmte Porträts (etwa von Händel und Farinelli) und ein Filmausschnitt des legendären Farinelli-Films illustrieren sinnlich diese große Zeit.

Dann folgt ein großer Sprung zu Mozart, der insgesamt sträflich unterrepräsentiert ist - und ruckzuck ist man schon in Wien, geht es gleich weiter zur großen Hofopernzeit unter Gustav Mahlers Ägide. Auch Richard Strauss als heutiger Repertoire-Gigant wird eher nur gestreift, weil die Ausstellung sich dann ganz stark der italienischen Oper widmet: Ein ganzes Kapitel widmet sich allein Puccinis „Tosca“ an der Wiener Staatsoper, ein weiteres Puccinis „Turandot“, auch seine „Butterfly“ wird ausführlich verhandelt, sowie der Aufstieg der Mailänder Scala und Schlüsselrolle, die der Ricordi-Verlag (einer der großen Leihgeber der Schau) dabei spielte.

Verdi allerdings wird ebenfalls reichlich knapp behandelt. Mittenhinein platziert dann das Thema Richard Wagner mit einem eigenen Kapitel über das Bayreuther Festspielhaus und „Parsifal“, während der „Ring“ und „Tristan“ wird eher klein abgehandelt werden. Sodann geht es übern großen Teich zum besonderen Geschäftsmodell der New Yorker Met, um sich dann im Finale schwelgerisch der französischen Spielart der Gattung in Paris zu widmen, die in der Grand Opéra und dem Prachtbau des Palais Garnier gipfelt.

Zu alledem gibt es viel zu sehen und hören, das originale „Tosca“-Kostüm der Tebaldi, in einer eigens angefertigten riesigen Glasvitrine die blaue, fünf Meter lange Samtschleppe, die Birgit Nilsson als Prinzessin Turandot in einer Neuinszenierung von 1961 auf der Bühne der Wiener Staatsoper hinter sich herzog, Lohengrin-Kostüme und -Schwerter von Leo Slezak, die ikonische Turandot-Krone der Callas (vom Cover der EMI-Einspielung), das Grammophon von Caruso und eine Auflistung aller Tosca-Heldinnen an der Wiener Staatsoper in Margarete Wallmanns Inszenierung, die bis heute im Spielplan ist. Außerdem Original-Plakate der Scala, Programmhefte und betörende Fotografien der Pariser Garnier-Oper von Candida Höfer.

Doch mit Puccini und Paris endet die Ausstellung. Schon die Reformbestrebungen der Kroll-Oper kommen nicht mehr vor, geschweige denn Neu-Bayreuth oder ästhetische Wendepunkte wie Neuenfels‘ Frankfurter „Aida“. Ein 30-minütiger Film absolviert immerhin eine Opernreise durch die Republik, der aber hauptsächlich Interviews mit Beteiligten und kaum heutige Ästhetik zeigt. Weitere Videos fragen Opern-Menschen von der Platzanweiserin über die Ankleiderin bis zum Dramaturgen nach der Zukunft der Oper, die natürlich durchweg optimistisch beurteilt wird.

Man würde sich wünschen, dass diese Ausstellung fortgesetzt oder zumindest ergänzt würde. Für Opernkenner bietet sie viele schöne Details, den Opernneuling wird sie im besten Fall faszinieren und dann vielleicht verwirren. Wenn nämlich beim ersten Opernbesuch in der Wirklichkeit alles so ganz anders aussieht.

Die Ausstellung ist in der Bundeskunsthalle Bonn bis zum 23. Februar 2023 zu sehen.

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