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Pianist Cecil Taylor (1929-2018) machte auch im Liegen Musik.

© Jean-François Labérine/akg-images

Nachruf auf Jazz-Legende: Cecil Taylor – ein Weltwunder des Jazz

Seine zweite musikalische Heimat war Berlin: Zum Tod des amerikanischen Free-Jazz-Titanen Cecil Taylor.

Von Gregor Dotzauer

Unter den Weltwundern des Jazz war er das einzige, vor dem man sich fürchten konnte. Cecil Taylor war ein Naturereignis, der es mit jedem Hurrikan oder Tornado aufnahm. Ein Donner-und-Blitz-Titan am Bösendorfer, der einen bei Windstärke elf in die aufgewühlte See schauen ließ. In atonalen Wirbeln und Strudeln berserkerte er quer über die Tastatur und schraffierte mit seiner totalen Chromatik jeden nachvollziehbaren harmonischen Zusammenhang zu.

Taylors Clusterwolken waren auf eine Musik der reinen Energie aus. Sie wollte nicht vom flirrenden Ergebnis her wahrgenommen werden, sondern aus ihrer gestischen Aktion heraus. Das heißt: Man kann Taylor zwar auch – überreich dokumentiert – auf Platte bewundern. Aber wer keinen Eindruck vom spontanen Ganzkörpereinsatz dieses Spitzenathleten auf der Bühne hat, wird die Einzigartigkeit seiner Kunst wohl nie ganz verstehen.

In Taylors perkussiver Kraft wohnte auch eine unerwartete Subtilität

Cecil Taylor, 1929 in New York City geboren und als einziges Kind einer Mittelschichtsfamilie in Queens aufgewachsen, hatte am New England Conservatory in Boston Komposition studiert. Wenn zumal seine Solauftritte, mit denen er Mitte der 60er Jahre begann, für Momente an die Klavierstücke von Karlheinz Stockhausen erinnern, den er verehrte, oder mehr noch an das wild zerklüftete Terrain der zweiten Klaviersonate von Pierre Boulez, so waren es doch frei improvisierte Übermalungen hochgradig konstruktiver Tonwelten. Unter seinen virtuosen Händen gewannen sie eine eigene atmende Gestalt. Denn er war nicht nur ein Thor, der seinen Hammer schwingt.

In Taylors perkussiver Kraft wohnte auch eine unerwartete Subtilität, die aus dem Klangmagma fraktale Gebilde von klirrender Schönheit herausmeißelte: arktisch-kristallin, stählern ausgehärtet oder zu dunklem Vulkanstein erstarrt. „Air Above Mountains (Buildings Within)“ heißt ein 1976 bei Friedrich Guldas Open-Air-Festival auf Schloss Moosham im Salzburger Land aufgenommenes Album, das ihn auf der Höhe seines Könnens zeigt.

Mit Ketten klappernd schlich er wie ein Schamane um den Flügel herum

Und manchmal gab es Sekunden, in denen der mit Handkanten, Fäusten und motorischem Ungestüm durch seine rasenden Skulpturen tobende Pianist innehalten musste. Sie reichten nie für einen Moment der Andacht, sie dienten immer nur der Vorbereitung des nächsten Schlags. Und doch gab es ein Außerhalb dieser tendenziell auf unendliche Fortsetzung pochenden Musik, ein ritualhaftes Umkreisen ihrer letztlich auch aus der Stille hervorbrechenden Macht.

Cecil Taylor schlich dann, mit irgendwelchen Ketten klappernd, wie ein Schamane um seinen Flügel herum. Er rollte sich mitten im Spiel unter das Instrument und traktierte den Resonanzboden mit Filzschlägeln. Oder er beschloss, eines seiner Gedichte zu rezitieren.

In ihnen mischte sich das Rebellische von Amiri Baraka mit den kühleren Tönen von Charles Olson und Robert Duncan, zwei poetischen Fixsternen des legendären Black Mountain College in North Carolina, das zwischen Robert Rauschenberg, Buckminster Fuller, John Cage und Merce Cunningham eine ganze Generation von Künstlern auf den Weg gebracht hatte.

Insbesondere in Berlin fand Taylor ein dankbares Publikum

Schon in den 50er Jahren rüttelte er im Quartett mit dem Sopransaxofonisten Steve Lacy an den Konventionen eines in die Jahre gekommenen Bebop. Doch erst 1966 eroberte er mit dem Album „Unit Structures“ und einem Septett mit Jimmy Lyons am Altsaxofon, Drummer Andrew Cyrille und zwei Bassisten, endgültig jenes Terrain, das ihm in der anbrechenden Hochzeit des Free Jazz zu Ruhm verhalf.

Vielleicht wurde er nie in dem Maß wie Ornette Coleman oder John Coltrane geliebt, doch die offizielle Anerkennung durch den MacArthur Genius Grant bis zum Kyoto-Preis im Jahr 2013 blieb nicht aus. Insbesondere in Berlin fand er ein dankbares Publikum – und eine zweite musikalische Heimat in der europäischen Improvisationsmusik rund um das Label Free Music Productions und das als Gegenprogramm zu den Jazztagen konzipierte Total Music Meeting.

Er beeinflusste jüngere Pianisten wie Craig Taborn und Vijay Iyer

Eine aktuelle Ausstellung in der Akademie der Künste am Hanseatenweg zeugt davon, unter anderem mit der 14 Stunden umfassenden, neuerdings digital gehandelten Monsterbox „The Complete Cecil Taylor in Berlin ’88“. Sie dokumentiert den Pianisten allein, im Duo und als Leiter eines Orchesters mit Größen wie Peter Brötzmann, Gunter Hampel Evan Parker, Tristan Honsinger oder Han Bennink. „Alms/Tiergarten (Spree)“, nennt sich diese einst separat erschienene Aufnahme. Besonders reizvoll ist Taylors Konfrontation mit so unterschiedlichen Schlagzeugern wie Tony Oxley, Paul Lovens, Louis Moholo oder Günter Baby Sommer. Sie alle müssen ihre eigene Antwort auf seine Kamikaze-Flüge finden.

Ein Unikum wie er macht keine Schule. Aber sein Einfluss auf jüngere Pianisten wie Craig Taborn, Vijay Iyer oder Matthew Shipp ist nicht nur im Hinblick auf Taylors physische Kondition belegt. Und wenn man genau hinhört, erkennt sogar in seinem eigenen Spiel noch Reste dessen, was ihm ihn seiner Anfangszeit etwas bedeutete: der Saft von Fats Waller, die Kanten von Thelonious Monk und der magische Traditionalismus von Duke Ellington. Am Donnerstag ist Cecil Taylor im Alter von 89 Jahren gestorben.

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