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Charmeoffensive eines Intendanten: Das Wunder von Halle
Das Opernhaus in Halle an der Saale verzeichnet zum Saisonstart den größten Publikumszuspruch seit zehn Jahren. Das liegt am klugen Marketing. Aber auch am persönlichen Einsatz des Chefs.
Stand:
Zum Beispiel der Hausarzt. Als der Intendant der Bühnen Halle Walter Sutcliffe den Mediziner bei einer Konsultation auf das Thema Oper anspricht, gibt der sich sofort als Musiktheaterfan zu erkennen. Wann er denn das letzte Mail eine Liveaufführung am örtlichen Stadttheater gesehen habe, will Sutcliffe wissen. „Nun ja“, bekommt er zur Antwort, „das muss wohl schon zwei Jahre her sein.“
Dem Herrn Doktor kann geholfen werden, beschließt der Intendant und startet mit seinem Marketingteam eine Kampagne, die regelmäßige Besucher aus Eigentlich-interessiert-es-mich-ja schon-Kunden machen will. Hoch vom Sofa, rein in den Zuschauerraum! Nur so kann die Loyalität zwischen der klassikaffinen Bevölkerung und ihrem Opernhaus wachsen.
31 Prozent mehr Tickets verkauft
Für Sutcliffes These spricht, dass das Opernhaus in Halle zum Saisonstart den größten Publikumszuspruch seit zehn Jahren verbuchen kann. Im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit ist das ein Plus von sensationellen 31 Prozent. Telefoniert man mit dem Theatermann, wird schnell klar, dass auch noch ein anderer Faktor zur Attraktivität des Hauses beiträgt: er selbst nämlich.

© Andreas Pohlmann
Walter Sutcliffe ist einer dieser unwiderstehlichen Briten à la Simon Rattle, die ihre Mitmenschen durch einen magischen Mix aus Charme, Begeisterungsfähigkeit und natürlichem Humor sofort verzaubern. Ganz im Gegensatz zu vielen seiner deutschen Kollegen liebt er es, abends vor Ort Präsenz zu zeigen, ansprechbar zu sein, für positive Atmosphäre zu sorgen.
Und nach der Vorstellung erscheint er auf der Bühne, um sich bei den Gästen für ihr Kommen zu bedanken. Anschließend bekommen die Anwesenden einen Flyer in die Hand gedrückt, der ihnen das Angebot macht, zwei Tickets zum Preis von einem zu kaufen, wenn sie in ein paar Monaten wiederkommen. Hervorragende Idee.
Man kennt das von der Apfel-Diskussion mit den eigenen Kindern: Obwohl ihnen das Obst durchaus schmeckt, braucht es liebevolles Zureden, bis sie sich an den regelmäßigen Genuss gewöhnt haben. Das gilt auch für viele Kulturkonsumenten. Um es hausarztmäßig zu sagen, mit einem Bonmot aus der Heimat von Walter Sutcliffe: „An opera a day keeps the doctor away!“
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