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Art Spiegelman vor seinem gezeichneten Alter Ego auf einem Bild von 2012.

© AFP/BERTRAND LANGLOIS

Arte-Dokumentation über Art Spiegelman: Wie „Maus“ die Erinnerung an den Holocaust verändert hat

In seinem ab 1986 veröffentlichten Comic „Maus“ verarbeitet Art Spiegelman die Überlebensgeschichte seines Vaters. Eine Dokumentation ordnet sein Werk in Kunstgeschichte und Erinnerungskultur ein.

Von Katharina Dockhorn

Die Inspiration für eine konzeptionelle Grundidee von „Maus - Die Geschichte eines Überlebenden“ kam von Adolf Hitler, so sagte es der US-Autor Art Spiegelman nach dem Erscheinen seines Comicbandes im Jahre 1986. Der Diktator hätte Menschen jüdischen Glaubens als Ungeziefer und Ratten bezeichnet, um sie zu entmenschlichen und in den Köpfen der Deutschen deren Entrechtung zu verankern.

Spiegelman setzt Hitlers Wahn Jahrzehnte später ins Bild: In dem Comic, der nach Erinnerungen seines Vaters an das Konzentrationslager Auschwitz entstand, sind die nichtjüdischen Deutschen Katzen und die Menschen jüdischen Glaubens Mäuse.

Die Fortsetzung der Geschichte erschien 1991. Für die beiden „Maus“-Bände erhielt Spiegelman 1992 den Pulitzer-Preis. Seine Darstellung des Holocaust als Comic löste weltweit Diskussionen über Grenzen und Möglichkeiten des Erinnerns aus. In der Dokumentation „Maus oder die Hölle von Auschwitz“ ordnet Autorin und Regisseurin Pauline Horovitz die Comics nun in die Kunstgeschichte ein.

Sie spricht mit ihrem eigenen Vater und Historikern über die Bedeutung des Werks für die Erinnerungskultur und lässt Spiegelman selbst ausgiebig zu Wort kommen. Arte zeigt den 52-minütigen Film jetzt in seiner Mediathek und strahlt ihn zudem am Mittwoch, dem 3. April, um 22.50 Uhr aus.

Die „zweite Generation“ fand ihre Stimme

Der erste „Maus“-Comic traf den Geist der Zeit und prägte den Zeitgeist. Künstlerinnen und Künstler mischten sich mit ihren Werken seit Ende der 1960er Jahre aktiv in die gesellschaftlichen und politischen Debatten ein. Von diesem Geist ließ sich der Kunststudent Spiegelman anstecken.

Zugleich wurden sich die Kinder und Enkel von Holocaust-Überlebenden in jenen Jahren bewusst, warum ihre Vorfahren über das Erlebte oftmals schwiegen. Nach dem Krieg hatten die Opfer der Schoah erfahren müssen, dass sich kaum jemand für ihre Erinnerungen interessierte. Auch dran erinnert die Dokumentation.

1977 führt Helen Epstein den Begriff der „zweiten Generation“ der Holocaust-Überlebenden in die Fachdiskussion und die Öffentlichkeit ein: Er soll auf die seelischen Belastungen der Nachkommen durch das Erlebte der Vorfahren und deren jahrzehntelanges Schweigen aufmerksam machen. Auch mit dieser These setzt sich Spiegelmann auseinander. Die „Maus“-Comics hätten ihm besser als jede Psychotherapie geholfen, den Ärger über das Schweigen seiner Eltern zu verstehen und zu verkraften, mit diesen Worten grenzt er sich einmal von Epstein ab.

Eine Vielzahl von Filmen brachte den Holocaust damals ins kollektive Bewusstsein, wie die Doku weiter zeigt. Nicht nur die Franzosen standen vor den Kinos, um Claude Lanzmanns Doku-Zweiteiler „Shoah“ zu sehen. Weltweit verfolgten Millionen die Fernsehserie „Holocaust“. Der Spielfilm wurde spätestens mit Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ (1994) zu einem Medium, das jene Bilder prägte, die Millionen Menschen heute von den Schrecken in den Konzentrationslagern haben.

Die Idee, Hitlers perfider Gleichsetzung von Menschen mit Tieren ein positives Narrativ entgegenzusetzen, hatte nicht nur Spiegelman, wie er sich erinnert. Der Disney-Konzern brachte 1986 „Feivel, der Mauswanderer“ heraus, die Geschichte der jüdische Mausfamilie Mousekewitz, die der Armut in Russland durch die Auswanderung in die USA entflieht. Der von Steven Spielberg produzierte zweite Teil der Saga um den mutigen und cleveren Mäusejungen, der seine Welt gegen gierige Katzenbanden verteidigt, kam 1991 parallel zum zweiten Band von Spiegelmans „Maus“-Geschichte heraus.

Der neue Zeitgeist ermutigte Überlebende des Terrors in den Konzentrationslagern, ihr Schweigen zu brechen. So auch den Vater der Regisseurin, der im Film zu Wort kommt. Er verlor etliche Angehörige im Holocaust.

Für den Historiker Tal Bruttman war der Comic von Spiegelman als Teenager die erste eindringliche Begegnung mit dem Thema. Der deutsche Politikwissenschaftler Ole Frahm ordnet ihn unter den Kunstwerken ein, die in den 1970er Jahren begannen, den Bildern der Nazis über die Schrecken der Schoah, die Jüdinnen und Juden als Opfer zeigten, eigene Bilder entgegenzusetzen. (KNA)

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