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Moderner Klassiker: Außer Atem

Seine Johnny-Cash-Biografie "I see a darkness" und sein Kuba-Reisebericht "Havanna" gehören zu den besten deutschen Comics der Gegenwart. Für den Tagesspiegel schreibt Comicautor Reinhard Kleist über ein Buch, das ihn besonders beeinflusst hat

Wenn ich gefragt werde, wo meine Einflüsse herkommen, nenne ich die Namen der Comiczeichner oder Illustratoren, die mich am Anfang meiner Laufbahn beeinflusst haben, mein verzweifeltes Suchen nach einem wiedererkennbaren Stil. Da waren Dave McKean, Kent Williams, Bill Sienkiewicz, großartige Künstler, denen ihr Stil nur manchmal im Weg stand, wenn es darum ging eine Story straight zu erzählen.

Wenn es aber ein Album gibt, das mein Streben eine Geschichte möglichst passend zu transportieren, geradezu perfekt umgesetzt hat und deswegen als eine Art Über-Vorbild über allen stilistischen oder erzähltechnischen Einflüssen steht, dann ist es wohl Barus "Autoroute du soleil".

Die Geschichte ist recht kurz umrissen, nach einem Zusammenstoß mit dem Neonazi Faurissier fliehen die beiden ungleichen Protagonisten Karim, ein junger Araber mit einem Faible für die Fünfziger, und der siebzehnjährige, unscheinbare Alexandre durch ein zerrissenes Frankreich, das die Kehrseite der Grande Nation darstellt. Ihre Odysee formt ihre Freundschaft und wird zu einer Initiationsgeschichte, zumindest für den einen der beiden. Der zunehmend wahnsinnige Faurissier bleibt ihnen dabei dicht auf den Fersen. Der Showdown schließlich wird fast zweitrangig. Was zählt ist die Reise, wie bei jedem guten Road Movie.

Wie Baru es schafft, die Zeichnung völlig in den Dienst der Handlung zu stellen, ist meisterhaft. Die Geschichte rauscht durch den Leser hindurch, wie es kaum ein Film schafft.

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Ein Comic wie ein rebellischer Road Movie. Szene aus "Autoroute des Soleil".

© Illustration: Baru/Carlsen

Man folgt den Personen hautnah auf ihrer Reise durch das alptraumhafte Frankreich. Die Zeichnungen besitzen einen fotografischen Realismus, der aber nie zum Schauwert verkommt. Seine Orte sind üble LKW-Speditionen, gesichtslose Raststätten, muffige Hinterzimmer in runtergekommenen Altbauten in den verrufenen Stadtteilen der Metropolen, hässliche Banlieus, die von den Feuern nächtlicher Rassenunruhen beleuchtet werden, durch Arbeitslosigkeit gezeichnete Städte.

Diese düsteren Orte werden aber von Baru in seiner serpentinenartigen Handlung wundervoll kontrastiert mit Einblicken in eine äußerlich mondäne Welt, die jedoch an anderen Stellen verfault. Immer wieder entdeckt Baru im Abgrund menschliche Wärme, die die beiden Fliehenden in den Figuren auslösen, die ihren Weg kreuzen. Aber auch vermeintliche Freunde entpuppen sich als Widersacher, verwoben in das Netz, das sich immer enger um die Beiden zieht. Nichts ist wie es scheint, das wird uns Lesern immer wieder um die Ohren gehauen.

Durch Karims Liebe für die Fünfziger Jahre, deren Autos, Klamotten und Filmstars, flackert die Wunschvorstellung einer Welt in der es noch einfache Fronten gab, keinen unbegründeten Hass, höchstens eine liebevolle Rebellion gegen verknöcherte Erwachsene, wie bei James Dean.

Die Handlung schlägt wilde Haken, die Perspektiven wechseln, die Spannung ist manchmal kaum auszuhalten, sämtliche Nebenrollen sind großartig besetzt... Hoppla, jetzt falle ich doch in Filmtermini!

Aber was das Buch ausmacht, ist letztendlich die Zeichnung der beiden Hauptcharaktere. Dahinter verblasst eigentlich alle Technik. Welche Katastrophen den beiden auch widerfahren, wieviel Prügel sie auch einstecken, wie oft sie eine geladene Knarre an der Schläfe haben, man beneidet sie doch um die wundervolle Freundschaft die sich während der Handlung entwickelt..

Natürlich ist "Autoroute" auch eine bösartige Abrechnung mit dem in Frankreich grassierenden Rassismus, nicht nur unter LePen. Baru führt als eine der Ursachen für den Rassenhass des Widersachers die größere sexuelle Potenz des Arabers und sein besseres Aussehen vor. Eine schön platte Deutung! Anders kann man sich die Welt manchmal nicht erklären...

Baru: Autoroute du Soleil, 432 Seiten, 19,90 Euro, Carlsen-Verlag

Unser Autor Reinhard Kleist lebt und arbeitet als Comiczeichner und -autor in Berlin. Hier findet man seine Website. Zuletzt erschien von ihm bei Carlsen der Band

"Havanna"

, das illustrierte Tagebuch einer Kuba Reise.

Der Autor und Zeichner erhielt für sein Comic-Schaffen mehrere bedeutende Preise wie den Max-und-Moritz-Preis, den Icom-Preis, den Münchener Comic-Preis "Peng" und den Sondermann der Frankfurter Buchmesse.

Eine weitere Tagesspiegel-Comicempfehlung von Kleist gibt es unter diesem Link.

Mehr über Kleist im Tagesspiegel:
"Die Revolution ist überall präsent"

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Reinhard Kleist

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