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Herz aus Stein: Eine Szene aus „Stones“.

© Rotopol

„Stones“ von Nadine Redlich: Der steinige Weg zu sich selbst

In ihrem Comic „Stones“ schafft die Düsseldorfer Zeichnerin Nadine Redlich das scheinbar Unmögliche: Sie verleiht einem Stein ein emotionales Innenleben.

Ein Stein als Protagonist? Starr und unbeweglich gilt er im Comic nicht gerade als klassischer Identifikator für Emotionen und Lebensphilosophien. Dass es möglich ist, einem ganz gewöhnlichen Stein eine Persönlichkeit zu verleihen und ihn gar in einen Dialog mit den Leser:innen treten zu lassen, führt die Düsseldorfer Illustratorin und Cartoonistin Nadine Redlich vor. 

In ihren Arbeiten konzentriert sich Redlich auf die kaum sichtbaren Details einer Figur oder Szene und zeigt, dass selbst ein schiefer Mundwinkel oder Augenrollen zum Ereignis werden kann.

Die Figur des im Gras liegenden grauen Steins tauchte zum ersten Mal in ihrem 2016 erschienenen Band „Paniktotem“ auf. Jetzt widmet Redlich ihm mit „Stones“ einen 80-seitigen Band, der kürzlich beim Verlag Rotopol Press erschienen ist (16 €, Sprache: Englisch).

In teils philosophischen, teils emotionalen Monologen setzt sich der steinige Held in „Stones“ mit seiner Identität und seinem Platz im Weltgefüge auseinander. Akzeptieren, was man nicht ändern kann — das ist leicht gesagt, wenn man ein Stein ist und physisch rein gar nichts aktiv beeinflussen kann. Im Streit mit seinem Schicksal schwankt er zwischen Realitätsflucht, Trotz und Verzweiflung.

„Durch seinen limitierten Radius hat er einen eingeschränkten Blick auf seine Umwelt. Er ist schnell überfordert und verliert die Contenance oder stellt sich mit ironischen Kommentaren über das Geschehen, um Herr der Lage zu bleiben“, beschreibt ihn Nadine Redlich im Interview mit dem Tagesspiegel.

Eine weitere Szene aus „Stones“.
Eine weitere Szene aus „Stones“.

© Rotopol

Redlich schickt den Stein auf eine Reise zu sich selbst — und hält dabei den Leser:innen einen Spiegel vor. So tragisch die Unerreichbarkeit seiner Träume ist, so menschlich ist es zu träumen und enttäuscht zu werden. Das Unabänderliche zu akzeptieren, indem er den Status Quo aus freien Stücken als die beste Existenzform für sich entdeckt, wäre eine Lösung aus dem Dilemma.

Tragik und Komik gehören zusammen

Dass „Stones“ trotz dieser tragischen Komponente so unterhaltsam und kurzweilig ist, liegt an der Komik, die sich aus dem Blick auf das begrenzte Wesen des Steins ergibt — der seine Einschränkung kaum wahrhaben will.

Komik und Tragik gehören für Nadine Redlich zusammen. „Wenn ich ein Drama schreiben würde, hätte es trotzdem komische Elemente“, sagt sie. Besonders gut gefallen habe ihr deshalb die Zuschrift einer Leserin, die berichtete, dass sie Redlichs „Paniktotem“ im Besucherzimmer ihrer Psychotherapeutin entdeckt habe.

Das Titelbild von „Stones“.
Das Titelbild von „Stones“.

© Rotopol

Nadine Redlich wurde 1984 in Düsseldorf geboren, wo sie noch heute lebt und arbeitet. An der Fachhochschule Düsseldorf studierte sie Kommunikationsdesign. Als Illustratorin zeichnet Redlich unter anderem für „Die Zeit“, die „New York Times“ und die „Süddeutsche Zeitung“. Zu ihren Auftraggebern gehören auch „Le Monde“ und Google. Mit ihrem Band „Ambient Comics“ (Rotopol, 2014) wurde sie 2018 für den Max-und-Moritz-Preis nominiert. 

Zeichnerisches Handwerk für die Arbeit am Detail

Redlich zeichnet jedes Bild mit Tusche auf Papier, auch wenn sich manchmal nur ein Mundwinkel oder der Punkt im Auge verändert. Die Dynamik ihrer Zeichnungen entwickelt sie so weniger aus großen Bewegungen oder räumlichen Veränderungen als aus einer exakten und aufs Wesentliche beschränkten Mimik. Damit setzt sie auf eine höchst differenzierte On-Point-Präsentation von Emotionen. 

Virtuos bedient Redlich sich zudem diverser Mittel der sequenziellen Kunst und bricht die Regeln, wenn es notwendig wird. So verzichtet sie bewusst auf den Comic-üblichen Gap, definiert den Bildrahmen um — oder der Stein kommuniziert direkt mit den Leser:innen.

Die sogenannte vierte Wand zu durchbrechen und den Stein mit den Leser:innen sprechen zu lassen sei dramaturgisch wichtig gewesen, erklärt Redlich. „Die zusätzliche Ebene war nötig, um zu zeigen, wie sich das Innenleben des Steins entwickelt", sagt sie.

Mit „Stones“ positioniert Nadine Redlich sich noch stärker als herausragende und dabei unangepasste Zeichnerin. Sie stellt mit dem Thema Selbstfindung eines der großen menschlichen Themen bild- und glaubhaft dar — und bietet eine Lösung in Richtung Selbstbestimmung und Autonomie an, die nicht nur dem Stein Zufriedenheit bescheren könnte.

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