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Eine Szene aus Darwyn Cookes „Parker: Martini Edition 2“.

© „Parker: Martini Edition 2“ / Schreiber & Leser

Die besten Comics des Jahres 2022: Knallhart und philosophisch, warmherzig und kafkaesk

Welches sind die besten Comics des Jahres? Das fragen wir unsere Leser:innen und eine Fachjury. Heute: Die Top-5 von Tagesspiegel-Autor Christian Endres

Auch in diesem Jahr fragen wir unsere Leserinnen und Leser wieder, welches für sie die besten Comics der vergangenen zwölf Monate waren. Unter allen Einsendenden werden wertvolle Buchpakete verlost. Hier eine erste Auswahl der Ergebnisse und Informationen zu den Teilnahmebedingungen.

Parallel dazu ist wie bereits in den vergangenen Jahren wieder eine Fachjury gefragt. Die besteht in diesem Jahr aus zehn Autorinnen und Autoren der Tagesspiegel-Comicseiten: Barbara Buchholz, Christian Endres, Birte Förster, Lara Keilbart, Rilana Kubassa, Moritz Honert, Sabine Scholz, Ralph Trommer, Lars von Törne und Erik Wenk.

Die Mitglieder der Jury küren in einem ersten Durchgang ihre fünf persönlichen Top-Comics des Jahres, die in den vergangenen zwölf Monaten auf Deutsch erschienen sind. Jeder individuelle Favorit wird von den Jurymitgliedern mit Punkten von 5 (Favorit) bis 1 (fünftbester Comic) beurteilt.

Welches sind in diesem Jahr die Top-Titel? Kurz vor Weihnachten steht das Jury-Ergebnis fest.
Welches sind in diesem Jahr die Top-Titel? Kurz vor Weihnachten steht das Jury-Ergebnis fest.

© Tagesspiegel

Daraus ergibt sich dann die Shortlist, auf der alle Titel mit mindestens fünf Punkten oder mindestens zwei Nennungen landen. Diese Shortlist wird abschließend von allen acht Jurymitgliedern erneut mit Punkten bewertet - daraus ergab sich die Rangfolge der besten Comics des Jahres, die wieder kurz vor Weihnachten im Tagesspiegel veröffentlicht wird.

Die Favoriten von Tagesspiegel-Autor Christian Endres

Platz 5: James Stewart und K Roméy: „Dinosaurier-Therapie“.
Erst seit 2020 speisen James Stewart und K Roméy ihre pointierten Strips über niedliche, mitfühlende, depressive, philosophische Saurier ins Netz – trotzdem haben sie schon Millionen von Follower. Wer den ersten Sammelband des Webcomics liest, versteht schnell, wieso. Denn was da trotz Knuddel-Look der Dinos bis zur Punchline jedes reduzierten Gags durchexerziert wird, ist extrem gut getimed und umgesetzt, und dabei absolut substanzvoller, existenzieller Stoff.

Ein Strip aus dem Sammelband „Dinosaurier-Therapie“.
Ein Strip aus dem Sammelband „Dinosaurier-Therapie“.

© Eichborn

Es geht um Ängste, Schlafstörungen, Liebe, Work-Life-Balance, Einsamkeit, das Leben mit psychologischen Erkrankungen, um gnadenlose Selbsterkenntnis, um Akzeptanz der eigenen Grenzen und Macken – und doch zaubern einem die entwaffneten, geradezu therapeutischen Bildwitze stets ein Lächeln auf die Lippen. Die Mischung aus kühler, düsterer Analyse und warmer, optimistischer Anteilnahme verbindet die prähistorischen Sympathieträger mit den „Peanuts“ von Charles M. Schulz.

Platz 4: Andi Watson: „Die Lesereise“.
Früher inszenierte der Brite Andi Watson Comics mit Namor, Grendel, Buffy und Hellboy, oder zum Franchise „Aliens vs. Predator“. Später glänzte er mit eigenständigen Comic-Romanen wie „Little Star“, „Breakfast after Noon“ und „Glister“. Jetzt entzückt er dank „Die Lesereise“ nicht nur Buchmenschen oder Schreibende.

Sich selbst überlassen: Eine Doppelseite aus „Die Lesereise“.
Sich selbst überlassen: Eine Doppelseite aus „Die Lesereise“.

© Schaltzeit, Übersetzung Ruth Keen

Watsons Graphic Novel ist eine herrlich kafkaeske Eskalationsgeschichte. Der fiktive Autor G. H. Fretwell muss auf seiner titelgebenden Lesereise – Book Tour im Original – viel durchmachen: niemand kommt zu seinen Signierstunden in die Buchläden, sein Verleger lässt ihn in allen Belangen hängen, die Motels sind furchtbar, und dann hält ihn die Polizei auch noch für einen Serienmörder. Man kann gar nicht anders, als mit Andi Watsons Protagonisten zu leiden, und feiert den absurden schwarzen Humor genauso wie die passend-krakeligen Schwarz-Weiß-Zeichnungen.

Platz 3: R. Kikuo Johnson: „Kein anderer“.
R. Kikuo Johnson wurde 1981 auf Maui geboren. In „Kein anderer“ erzählt der hawaiianische Künstler, dessen Bilder auch häufig die Cover des „New Yorker“-Magazins zieren, eine Familiengeschichte. Die behandelt Themen wie Verlust, Trauer, alte Konflikte, Freiheit und gesellschaftlichen Wandel. Und obwohl Johnson spezifische Hawaii-Motive wie das brennende Zuckerrohr in seinen kurzen Comic-Roman einbaut, ist „Kein anderer“ auf empathischer Ebene doch komplett universell, ob es berührt, begeistert oder weh tut.

Kritischer Blick auf Hawaii-Klischees: Eine Szene aus „Kein anderer“.
Kritischer Blick auf Hawaii-Klischees: Eine Szene aus „Kein anderer“.

© Reprodukt

Außerdem präsentiert sich der querformatige Band als Meisterwerk in Sachen sequenzielle Kunst und grafisches Erzählen. Jedes Panel und jedes Seitenlayout zeichnen sich durch ein immenses Verständnis des Comic-Storyellings aus. Das ergibt rein von der Technik her eine so gute Bildergeschichte, dass man sie gleich mehr als einmal liest und bestaunt.

Platz 2: Flix: „Das Humboldt-Tier“.
Der in Berlin lebende Künstler Flix adaptierte schon die Klassiker „Faust“ und „Don Quijote“, zudem brillierte er mit Strips wie „Glückskind“ und „Schöne Töchter“. Kein Wunder, dass er als erster deutscher Künstler vor einigen Jahren ein Album zum frankobelgischen Traditionstitel „Spirou und Fantasio“ gestalten durfte, und nun mit dem Marsupilami-Abenteuer „Das Humboldt-Tier“ nachgelegt hat.

Vorsichtige Annäherung: Eine Szene aus Flix' „Das Humboldt-Tier“.
Vorsichtige Annäherung: Eine Szene aus Flix' „Das Humboldt-Tier“.

© 2022 Dupuis, Dargaud-Lombard, Flix, Carlsen

Das beginnt im südamerikanischen Urwald mit dem berühmten Forscher Alexander von Humboldt und mündet in verschneiten Berlin der 1930er, also der Weimarer Republik – und sprüht auf jeder referenzfreudigen Seite vor purer Comic-Magie.

Ein wunderschöner, knackiger, warmherziger und äußerst zugänglicher Einzelband, den man Groß wie Klein in die Hand drücken kann, um die Faszination für das Medium und seine Möglichkeiten zu vermitteln. Flix hat hier weit mehr geschaffen als bloß eine Hommage an André Franquin und das gelbe Wundertier der europäischen Comic-Welt.

Platz 1: Darwyn Cooke: Parker: Martini Edition 2.
2022 hätte der kanadische Ausnahmekünstler Darwyn Cooke, der 2016 im Alter von 53 Jahren gestorben ist, seinen 60 Geburtstag gefeiert. Wieso die Szene ihn noch immer schmerzlich vermisst, erklärt der zweite Sammelband seiner „Parker“-Comics nach den Gauner-Kriminalromanen von Richard Stark alias Donald E. Westlake.

Eine Seite aus dem zweiten Band von „Parker: Martini Edition“. 
Eine Seite aus dem zweiten Band von „Parker: Martini Edition“. 

© Schreibere & Leser

Cooke hat das Ursprungsmaterial genau verstanden und in seinem überragenden Retro-Stil adaptiert, der die goldene Vergangenheit von Comic und Illustration verbindet. Ob eine epische Geschichte über einen Minenstadt-Heist oder Parkers Kampf gegen Gangster und Cops in einem für den Winter stillgelegten Vergnügungspark: Cookes perfekte Crime-Comics mit dem knallharten Berufsverbrecher sitzen Strich für Strich.

Dass die Luxusausgabe neben lauter deutschen Erstveröffentlichungen noch massig Bonusmaterial (darunter eine Hommage-Story von Ed Brubaker und Sean Phillips) enthält, macht den Band zu einem traumhaften Tribut an Parker, Donald Westlake und natürlich Darwyn Cooke.

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