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© Doris Spiekermann-Klaas

Hausbesuch: Die Manga-WG

Natalie Wormsbecher und Inga Steinmetz wohnen zusammen und feiern Erfolge als Zeichnerinnen – trotz hohen Berufsrisikos.

Wer zum ersten Mal bei den beiden Mangazeichnerinnen Natalie Wormsbecher und Inga Steinmetz klingelt, dem spuken unfreiwillig Klischees aus dem Cartoonprogramm von RTL2 durch den Kopf. Mädchen mit Kindchenschemagesichtern erwartet man hinter der Haustür, Poster von Zeichentrickmonstern, Krempel von Hello Kitty. Mindestens aber eine lebensgroße Pappfigur von Sailor Moon. Werden die Autorinnen streichholzkurze Röckchen tragen? Einander mit japanischen Vornamen anreden?

Natürlich nicht. Kein Japanisch, kein Kitsch, keine Pappsailormoon. Eine ganz gewöhnliche Mädchen-WG in einem Neuköllner Altbau. Zwei Zimmer, eine große Küche, alles ziemlich unauffällig und unspektakulär – hier könnten auch zwei ganz normale Studentinnen wohnen. Wäre da nicht dieser eine große Schrank, der sofort ins Auge sticht. In ihm stehen säuberlich aneinandergereiht rund tausend Mangabücher, Rücken an Rücken, dicht aneinandergedrängt. Wert: An die 7000 Euro. Ansonsten weist nur eine kleine Plastikfigur von Pikatchu, dem Helden des japanischen Cartoons „Pokémon“, darauf hin, dass hier zwei der erfolgreichsten Mangazeichnerinnen Deutschlands wohnen.

Zuckersüße Geschichten über Magie, Erwachsenwerden, die erste Liebe

„Es gibt Menschen, die den Japankult richtig leben. Wir sind das nicht“, sagt Inga, 26. „Ich habe mal in einer Sushibar gejobbt, aber das war eher Zufall. Und Kimonos haben wir auch keine.“ Mangas sind für sie eine Leidenschaft, vor allem aber auch ein Job. Und ein knochenharter dazu: zehn Stunden täglich zeichnen die Mädchen, so lange braucht eine Seite.

Der Soll liegt bei 30 Seiten pro Monat. „Wir sind den Großteil des Tages an den Schreibtisch gekettet“, sagt Natalie, 23. „Und wenn wir unseren Stundenlohn ausrechnen, ist das zum Weinen.“ Wenn man sie so reden hört, glaubt man, einen Fließbandarbeiter vor sich zu haben. Aber eigentlich könne sie sich glücklich schätzen. Der lange Arbeitstag und die verschwommene Grenze zwischen Job und Freizeit seien der übliche Preis, den fast alle Kreativen zahlen müssen, die von ihrem Hobby leben wollen. „Das ist gefährlich an Berufen, die Spaß machen: Man überarbeitet sich leicht“, sagt Natalie.

Ungefähr 30 Mangazeichner gibt es insgesamt in Deutschland, aber nur ein halbes Dutzend kann davon auch den Lebensunterhalt bestreiten. Natalie und Inga gehören dazu, sie sind zwei der erfolgreichsten Zeichnerinnen der Republik. Sozusagen die Fräuleinwunder der Szene. Beide haben sich auf Mangas für Mädchen spezialisiert, zuckersüße Geschichten über Magie, Erwachsenwerden, über die erste Liebe. In Deutschland werden Mangas vor allem von weiblichen Teenagern unter 15 Jahren gelesen – „Shojo“ wird diese Sparte genannt, „Shonen“ heißen Mangas für Jungs. Und wer es bislang nicht weiß: die Bände werden stets von hinten nach vorne gelesen.

Das wächst sich raus, hofften die Eltern

„Noch bedienen wir eine Nische“, sagt Inga. Schade, wie sie findet, denn Mangas könnten mehr: In Japan gibt es sie für jedes Publikum: Für Hausfrauen, für Senioren, für Bäcker und Gärtner. Auch Sach- und Schulbücher werden damit illustriert. „Fakten, die mit Bildern untermalt sind, lassen sich besser merken“, erklärt Inga. Natürlich könne man nicht alle Inhalte in Comicform darstellen, aber zumindest seien Mangas ein Anreiz für Jugendliche, überhaupt ein Buch anzufassen. Trotzdem sehen immer noch viele Eltern nur ungern Comics in den Händen ihrer Kinder. Zu unrecht, sagt Natalie: „Sie regen die Fantasie an.“ Und letztendlich sollten alle Mittel Recht sein, um Jugendliche weg vom Fernseher zu locken.

Auch Natalies Eltern standen ihrer Leidenschaft mit Skepsis gegenüber. Als sie mit 13 Mangas für sich entdeckt hatte, betrachteten sie es als ein exotisches Hobby, ließen Natalie aber zeichnen – „solange die Schule nicht drunter leidet.“ Natalie gewann Wettbewerbe, veröffentlichte ihre ersten Geschichten, scharrte sogar eine kleine Fangemeinde um sich. Die Eltern schauten zu, mit Wohlwollen. Aber auch mit Unverständnis und der Hoffnung, dass es sich „irgendwann rauswächst“. Als Natalie aber erklärte, sich nach dem Abitur als selbständige Mangazeichnerin durchschlagen zu wollen, stand die Familie Kopf: Kein Studium? Keine Ausbildung? Comics als Beruf? Erst als das erste Geld auf das Konto tröpfelte, hatten sich die Eltern etwas beruhigt. „Trotzdem hätten sie mich wohl am liebsten als Lehrerin gesehen“, erzählt Natalie. „Und ich glaube, das wäre ich ohne Mangas auch geworden.“ Inzwischen hat sie drei Bücher rausgebracht – und ist froh über ihre Entscheidung.

"Als würden Japaner versuchen, Bier zu brauen"

„Wir werden trotzdem nicht unser Leben lang Comics zeichnen“, sagt Inga. Nicht weil sie sich irgendwann zu erwachsen dafür fühlten, nein. Da Mangas aber Handarbeit sind, sei die Arbeit körperlich anstrengend.

Es gibt sogar richtige Berufskrankheiten: Das stundenlange Zeichnen mache auf Dauer die Hände kaputt, schmerzhafte Sehnenscheidenentzündungen sind die Folge. Das Sitzen geht auf den Rücken. „Länger als 20 Jahre kann man den Job nicht machen.“

Bis dahin freuen sich aber Inga und Natalie, das tun zu dürfen, was ihnen am meisten Spaß macht – trotz des langen Arbeitstages, trotz des Drucks und der nötigen Disziplin. „Wir sind Nerds“, sagt Inga. „Ruhm ist uns egal.“ Internationale Berühmtheit erreiche man als deutscher Mangazeichner sowieso nicht – „das ist so, als würden Japaner versuchen, Bier zu brauen.“

Natürlich schmeichele es, auf Messen Bücher zu signieren. Auch die Presse ist öfters zu Gast. „Aber eigentlich leben wir ein ganz langweiliges Leben. Nur dass ab und zu Reporter vorbeikommen“, sagt Inga. Und sich wundern, dass sie keine Japanklischees finden, sondern zwei überarbeitete Berufstätige.

Die Bücher von Natalie und Inga erscheinen im Tokyopop-Verlag. Inga hat dort zwei Bände der Reihe„Freche Mädchen – freche Manga“ veröffentlicht. Natalies neues Buch heißt „Life Tree’s Guardian“ und ist soeben erschienen.

Natalie und Inga schreiben hin und wieder auch als Gastautorinnen für die Comicseiten des Tagesspiegels über Manga. Unter diesem Link findet man ihre Kolumnen.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 11. Juni 2009)

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