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Gefühl und Härte: Eine Szene aus dem Buch.

© Avant

Birgit Weyhes „Im Himmel ist Jahrmarkt“: Endlich selbst die Richtung bestimmen

Die Comicautorin Birgit Weyhe reist mit dem wunderbaren Band „Im Himmel ist Jahrmarkt“ in ihre eigene Familiengeschichte zurück. Am Donnerstag spricht sie bei einer Buchpräsentation in Hamburg über die Hintergründe.

Als die Oma stirbt, will niemand ihre Fotoalben haben. Schließlich wirft die Enkelin doch mal einen Blick hinein und fragt sich: Wer sind all diese Menschen? Warum weiß ich so wenig über meine Familie? Sie beschließt, mehr in Erfahrung zu bringen und die Geschichte ihrer Vorfahren aufzuschreiben – und vor allem aufzuzeichnen. Denn bei der Enkelin handelt es sich um die Hamburger Comicautorin Birgit Weyhe, die bereits mit ihrem schönen Band „Reigen“ zu einer episodisch angelegten Zeitreise aufbrach.

Für „Im Himmel ist Jahrmarkt“  mischt sie nun Fakten mit Fiktion, denn nicht alle Lücken in der Familiengeschichte lassen sich schließen. Das Ergebnis ist vielleicht gerade deshalb so packend und wahrhaftig. Denn in Weyhes Verdichtung wirken die Biografien ihrer Großeltern geradezu exemplarisch für die Generation des vor dem Ersten Weltkrieg geborenen urbanen Bürgertums. Die Frauen stehen dabei im Vordergrund sowie am Beginn der Erzählung.

Harte Erziehung, gesellschaftliche Zwänge

Marianne Adlmüller ist Weyhes Großmutter väterlicherseits. Die spätere Besitzerin eines Hutsalons kommt in München zur Welt und zeigt schon früh Begeisterung für Kopfbedeckungen. Im Winter 1914 strickt sie eine Mütze, die sie einer Madonnenfigur in der Schule überzieht. „Damit die Mutter Gottes nicht frieren muss“, erklärt sie der erzürnten Lehrerin. Die kann der kindlichen Logik nicht folgen und schleppt Marianne zur Mutter Oberin, die sie mit Schlägen bestraft – Marianne darf den Stock selber aussuchen.

Eine harte Erziehung und gesellschaftliche Zwänge prägen auch die Erfahrungen der Großeltern mütterlicherseits. So bekommt etwa Oma Herta Raug, die am Müggelsee in einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie aufwächst, die ganze Unbarmherzigkeit ihres Vaters zu spüren, als sie sich in einen armen, politisch links stehenden Mann verliebt. Mit der Drohung sie zu enterben, wird Herta gefügig gemacht. Später heiratet sie auf Geheiß des Vaters einen ungarischen Adeligen.

Kindheitserlebnisse in Schwarz-Weiß

Beide Frauen setzen sich letztlich über die Wünsche ihrer Eltern hinweg und finden für eine gewisse Zeit ihr Glück. Marianne Adlmüller macht den Führerschein und führt ein eigenes Geschäft, Herta findet im Krieg einen neuen Mann und baut sich mit ihm in München eine neue Existenz auf. „Und endlich gibt sie selbst die Richtung vor“ schreibt Birgit Weyhe in einem Panel, das eine Henne und drei hinter ihr laufende Küken zeigt.

Faktt und Fiktion: Das Buchcover.

© Avant

Auch eigene Kindheitserlebnisse mit den Großeltern webt sie immer wieder in ihre Geschichte ein, die sie in feinen Schwarz-Weiß-Zeichnungen erzählt. Und so wie sich in der Erinnerung manche Bilder und Erfahrungen tiefer einbrennen, hebt Weyhe mitunter ein Detail – einen Fisch, einen Panzer, eine Schere – größer heraus oder zeigt wichtige Momente in grob-expressiven Strichen. Das ist nicht nur dramaturgisch reizvoll, sondern verleiht dem lesenswerten Band „Im Himmel ist Jahrmarkt“ zudem einen ganz eigenen Look.

Birgit Weyhe: Im Himmel ist Jahrmarkt, Avant Verlag, 280 Seiten, 22 Euro.

Terminhinweis: Am kommenden Donnerstag, dem 26. September, wird Birgit Weyhe das Buch um 19 Uhr im Hamburger Comicladen Strips & Stories vorstellen und über Hintergründe berichten und ihre Arbeitsweise vorstellen: Strips & Stories, Seilerstraße 40, D-20349 Hamburg, www.strips-stories.de 

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