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Anime: Flucht in den Luftkampf

Sein auf einem Manga basierender Anime "Ghost in the Shell" ist ein Klassiker. Jetzt legt Animationsfilmer Mamoru Oshii sein neues Werk vor: "The Sky Crawlers"

Mit "The Sky Crawlers" meldet sich der große Zyniker und Philosoph des japanischen Animationsfilms, Mamoru Oshii ("Ghost in the Shell" 1 und 2), eindrucksvoll zurück. Bereits auf den Filmfestspielen in Venedig 2008 (im Wettbewerb um den Goldenen Löwen) trat der Japaner mit seinen Antikriegs-Animationsfilm nach einer Romanvorlage von Mori Hiroshi gegen die putzigen Figuren des Großmeisters Hayao Miyazaki ("Chihiros Reise ins Zauberland") an. Jetzt wurde der Film endlich auf dem Münchener FilmFest  einem deutschen Publikum vorgeführt. Dabei bot "The Sky Crawlers" den Zuschauern ein ständiges Auf und Ab an Eindrücken.

Bei seiner Produktionsfirma Production I.G, dem zweitgrößten Studio neben dem großen Rivalen, den Ghibli Studios, arbeitet Mamoru Oshii an Animationsfilmen, die sowohl grafischen als auch inhaltlich aus dem bekannten Rahmen fallen. Während man sich bei der Ghibli-Schule noch immer an putzigen 2D-Animationen festklammert, erheben sich Oshiis Figuren in "The Sky Crawlers" mit ihren altertümlichen Flugmaschinen vom vertrauten zweidimensionalen Boden in den 3D-Himmel.

Der Zuschauer wird ohne Vorwarnung in die Luftschlacht geworfen. Dort liefern sich die jugendlichen Akteure einen Ersatzkrieg. Die „Dog Fights“,

die der Bildgewalt eines Howard-Hawks-Films in nichts nachstehen, reizen die Sehnerven des Publikums bis zum Äußersten, gehen spielend mit der dritten Dimension um und beeindrucken durch plötzlich einsetzende Zeitraffer, die sich bereits die Wachowski-Brüder ("The Matrix") von Oshii abgeschaut haben.

Action im Himmel, Geduldsprobe am Boden

Die narrative Technik des in medias res hat sich dabei zu einem besonderen Merkmal von Oshii gemausert; er gibt dem Zuschauer keine Sekunde Zeit sich zu orientieren, gaukelt ihm vor, dass er nun über 120 Minuten spannungsgeladene Action bekommt. Aber genau an dem Punkt, an dem es Oshii gelungen ist sein Publikum süchtig nach diesen Bildern zu machen, lichten sich die Wolken und das Flugzeug setzt zur Landung an.

Während der Lärm der ächzenden Motoren und die Hektik der Bilder den Himmel erfüllt haben, herrscht am Boden eine geradezu unheimliche Stille. Man hört nur noch das Zirpen der Grillen, während alle anderen Geräusche langsam verebben. Ein Bassett-Hund in simpelstem 2D-Animation wackelt drollig auf das soeben gelandete Flugzeug zu; der neue Pilot, Kannami Yuichi, wird auf der idyllischen Basis empfangen. Während die grün blühende Landschaft dem Zuschauer eine friedliche Ruhe nur so ins Gesicht reibt, wirken alle Interiors wie gemalte Stillleben in die sich nur selten zweidimensionalen Charaktere verirren.

Yuichi betritt diese beengende Welt und wird von seinen neuen Kameraden und seiner Vorgesetzten Kusanagi Suito kühl begrüßt. Was zuvor noch eine blitzschnelle Abfolge von Schnitten und Kameraperspektiven war, wird nun auf der Leinwand zu einem regelrechten Geduldsspiel:

Die Figuren reden nur wenig miteinander, Informationen werden vorenthalten und der Krieg scheint fast vergessen.

Wie bereits bei "Ghost in the Shell 2: Innocence" spielt Osshi nicht nur mit den Möglichkeiten, die ihm die unterschiedlichen Animationsformen bieten, sondern auch mit harschen Brüchen in seiner Erzählweise. So lässt er die jugendlichen Flieger und seine Zuschauer eine gefühlte halbe Stunde warten, lässt sie nach Action dürsten, bevor er sein Flugspektakel aufs Neue inszeniert.

Immer unglaublicher werden die Manöver der jungen Helden, die mit ihren Spielzeugmaschinen weiße und graue Rauchfahnen ans Firmament zaubern. Wie bereits nach der ersten Schlacht verlangt man stets nach mehr; doch auch jetzt wird der große Showdown verwehrt. Siegreich kehren die Piloten nach ihrem Scharmützel gegen den gesichtslosen Gegner zurück zur Basis.

Nintendo präsentiert das Videospiel zum Film

Trotz der sich drehenden Radarstationen sind die am Boden zurückgeblieben Charaktere zum Warten an der Rollbahn verdammt. Dort rauchen sie unentwegt Zigaretten, trinken Bier oder Kaffee. Doch die Idylle zeigt erste Risse in ihrer heilen Fassade. Die Realität der kleinen Basis wird immer unerträglicher und der einzige Ausweg scheint die Flucht in den Himmel. Doch Oshii verwehrt diesen Ausweg: Mit jedem neuen Start der Maschinen nehmen seine Protagonisten ein Stück der falschen Idylle mit in den Himmel und bringen anschließend noch mehr Unsicherheit zurück auf den Boden der Tatsachen.

Die Räume werden immer erdrückender und die Wahrheit über den Krieg bohrt sich ihren Weg ans Tageslicht und kriecht langsam aber unaufhaltsam hervor. Durch schier endlos lang wirkende Einstellungen und durch die erdrückende Stille seiner Protagonisten, die den Zuschauer fast zur Verzweiflung treiben, nimmt Oshii jegliche Freude an der finalen Luftschlacht, bricht diese kurzerhand ab und gibt zu verstehen, dass der eigentliche Kampf am Boden entschieden wird.

„Vielleicht gibt es in der modernen Konsumgesellschaft keinen Grund mehr erwachsen zu werden ...“ Nicht ganz ohne Ironie klingt Oshiis Aussage, wenn man bedenkt, dass sich der Videospiele-Hersteller Nintendo die Rechte an dem Stoff gesichert hat. Das entsprechende Spiel "Sky Crawlers: Innocent Aces" für die Wii wurde schon von Oshii persönlich testgespielt.

Um dem Film nur einigermaßen gerecht zu werden, müsste dieses Spiel der Person am Controller so lange Vorträge über die Sinnlosigkeit des Kriegs vorhalten bis diesem die Lust am Luftkampf vollends vergangen ist. Ansonsten wären die zugegeben sehr langatmigen Monologe und der Tod der jungen Piloten in "The Sky Crawlers" wirklich völlig umsonst gewesen.

Einen Trailer gibt es auf
YouTube zu sehen. Den Film kann man als DVD bislang nur über Amazon.com aus den USA bestellen, eine deutsche Fassung ist noch nicht im Handel.

Mehr von unserem Autor Daniel Wüllner findet man in seinem Blog:
Neues aus dem Elfenbeinturm.

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