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Männer mit Masken. Watchmen erschien erstmals vor 25 Jahren als Fortsetzungsgeschichte. Heute gilt die postmoderne Superhelden-Saga als Klassiker, die vom Time Magazine unter die 100 besten Bücher aller Zeiten gewählt wurde.

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Pop-Exegese: Forschungen in der Parallelwelt

25 Jahre „Watchmen“: Bis heute wird der Comic wegen seiner Vielschichtigkeit als Meisterwerk gefeiert. Ein deutscher Literaturwissenschaftler geht dem Phänomen auf den Grund.

Das Phänomen dürften viele „Watchmen“-Leser kennen: Nach der ersten Lektüre ließ einen das Buch beeindruckt, aber auch etwas ratlos zurück. Man hatte das Gefühl, etwas sehr Bedeutsames erlebt zu haben, dessen Relevanz man beim ersten Lesen aber nur ansatzweise entschlüsselt hatte. Erst als man die vieldeutige, in einer halbrealen Parallelwelt spielende Erzählung von Alan Moore und Dave Gibbons, deren Erstveröffentlichung als Heft-Serie sich in diesem Sommer zum 25. Mal jährt, wieder und wieder zur Hand nahm, entwickelte sich nach und nach ein umfassenderes Verständnis für die komplexen Botschaften und Bedeutungsebenen des Meisterwerkes.

So ähnlich erging es einst auch Hans-Joachim Backe, Assistent am Lehrstuhl für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum  und Autor der bemerkenswerten Abhandlung „Under the Hood – Die Verweisstruktur der Watchmen“, die kürzlich im Bachmann-Verlag erschienen ist. Seit seiner ersten, verwirrenden Begegnung mit „Watchmen“ hat Backe den stilprägenden Comic mit seiner Fülle an intertextuellen Verweisen wieder und wieder gelesen. In seiner 150-seitigen Studie seziert er nun viele der zentralen Bedeutungsebenen des Werkes. Er stellt zahlreiche Bezüge her zwischen den Zitaten, Verweisen und Anspielungen, vor denen „Watchmen“ als, wie Backe sagt, „postmoderner Roman in Comicform“ schier überquillt, sowie ihren Ursprungsquellen, die er wiederum in deren jeweiligen Kontext kurz erklärt.

Das reicht von Popsongs, anderen Comics, religiösen und literarischen Texten bis zu Motiven aus der klassischen Mythologie sowie naturwissenschaftlichen und politischen Zusammenhängen. Seine fundierte Abhandlung ist trotz ihres wissenschaftlichen Anspruchs allgemein verständlich geschrieben. In ihrer Detailfreude dürfte sie allerdings wohl primär für „Watchmen“-Fans und akademisch versierte Leser interessant sein.

Durch die Untersuchung der verschiedensten Textebenen macht die Studie nachvollziehbar, wieso gerade dieser Comic auch 25 Jahre nach seiner Entstehung als anspruchsvolles Meisterwerk von unerreichter Vielschichtigkeit gefeiert wird und zugleich zu einem Bestseller wurde, den auch Leser schätzen, die nicht zwingend jedes Zitat umfassend einordnen können: „Dass Watchmen sich als Comic relativ mühelos lesen lässt, liegt daran, dass es stets eine vordergründige Primärfunktion gibt. Dass Watchmen große Kunst ist, liegt daran, dass es fast nie bei dieser Primärfunktion bleibt.“

Um Mitternacht. Auch die Namen der Kapitel, die Popsongs entnommen wurden, untersucht Backe. "At midnight all the agents" stammt aus Bob Dylans "Desolation Row". Die ganze Passage lautet: "Now at midnight all the agents and the superhuman crew, come out and round up everyonethat knows more than they do"
Um Mitternacht. Auch die Namen der Kapitel, die Popsongs entnommen wurden, untersucht Backe. "At midnight all the agents" stammt aus Bob Dylans "Desolation Row". Die ganze Passage lautet: "Now at midnight all the agents and the superhuman crew, come out and round up everyonethat knows more than they do"

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Anschaulich und mit vielen Bildbeispielen führt Backe den Leser durch die Erzählung, in der es vordergründig um eine Truppe alternder Superhelden geht, die durch den Mord an einem ehemaligen Weggefährten aufgerüttelt werden. Dabei zeigt er, dass es auch nach der wiederholten Lektüre des Klassikers noch bemerkenswert viel Neues zu entdecken gibt. So entstehen zum Beispiel zusätzliche Bedeutungsebenen, wenn man sich die als Kapitelüberschriften eingesetzten Songzitate von Musikern wie Bob Dylan („At Midnight, All the Agents...“ aus dem Lied „Desolation Row“) oder Elvis Costello („Absent Friends“) genauer anschaut und die Inhalte der jeweiligen Lieder mit denen des jeweiligen Kapitels in Bezug setzt. Auch trägt es zum zusätzlichen Verständnis von Moores und Gibbons‘ Werk bei, wenn Backe die politischen und religiösen Diskurse, die das Buch durchziehen, auf ihren Bezug zur realen politischen Lage der 80er Jahre oder auf ihr Verhältnis zu einzelnen Bibelzitaten abklopft.

Eine bemerkenswerte Auseinandersetzung mit einem der wichtigsten Werke der Comicgeschichte – und ein guter Anlass, 25 Jahre nach der Veröffentlichung der ersten Folge im Spätsommer 1986 das Buch mal wieder zur Hand zu nehmen und erneut auf Entdeckungsreise zu gehen. 

Hans-Joachim Backe: Under the Hood – Die Verweisstruktur der Watchmen, Ch. A. Bachmann Verlag, 150 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 16 Euro.

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