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 Eine Seite aus „Der Kopf der Hanse“ von Jens Natter.

© Jens Natter/Edition 52

Geschichtscomic „Der Kopf der Hanse“ : Machtkampf im Mittelalter

Der Hamburger Comicautor Jens Natter erzählt in seinem neuen Buch „Der Kopf der Hanse“ unterhaltsam und grafisch innovativ von einem wichtigen Kapitel der norddeutschen Geschichte.

Stand:

Er ist ein rücksichtsloser Geschäftemacher. Mit wachsendem wirtschaftlichem Erfolg greift er auch nach der politischen Macht. Lange Zeit traut sich kaum jemand, dem rabiaten Kerl mit dem massigen Körper und dem hellen Haar etwas entgegenzusetzen.

Klingt ein wenig nach einer Geschichte aus dem Washington des Jahres 2025, spielt aber in Lübeck zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Hier hat Jens Natter sein neues Buch „Der Kopf der Hanse“ (Edition 52, 104 Seiten, 18 Euro) angesiedelt.

Mit gutem Gespür für politische und menschliche Dramen, viel Humor und originellen grafischen Ideen lässt der 1975 geborene Hamburger Comiczeichner darin ein wichtiges Kapitel der norddeutschen Geschichte lebendig werden. In dessen Mittelpunkt steht der Aufstieg und Fall des anfangs beschriebenen Geschäftsmannes und Politikers Johann Wittenborg.

 Kreatives Layout: Eine Seite aus „Der Kopf der Hanse“ von Jens Natter.

© Jens Natter/Edition 52

Die Hauptfiguren sind zwei sehr unterschiedliche Männer, die als Kaufmannssöhne in der Jugend zu Freunden werden, dann zu Bündnispartnern – und am Schluss auf zwei entgegengesetzten Seiten einer verheerenden Entwicklung stehen.

Recherchen in mehreren Museen

Da ist zum einen der skrupellose Unternehmer Wittenborg, der einige Jahre nicht nur Bürgermeister Lübecks, sondern in der Zeit auch als Oberbefehlshaber der hanseatischen Seemacht für eine schwere militärische Niederlage verantwortlich war: Die missglückte Belagerung der dänischen Hafenstadt Helsingborg 1362, bei der die Hanseflotte zwölf Schiffe verlor. Zum anderen Bruno von Warendorp, Ratsherr, ein eher zurückhaltender Mensch und ein paar Jahre nach Wittenborg ebenfalls Bürgermeister der Hansestadt. 

Mehrfach nutzt Jens Natter Gebäudefassaden als Panel-Rahmen.

© Jens Natter/Edition 52

Spätmittelalterliche Figuren wie diese in einer modernen Erzählung lebendig werden zu lassen, ist nicht einfach. Von den Biografien Johann Wittenborgs und Bruno von Warendorps und vor allem aus ihrem Alltagsleben sind nicht viele persönliche Details überliefert, nicht einmal ihre genauen Geburtsdaten.

Dieser Herausforderung stellt sich Natter, der zuvor unter anderem mit „Hammaburg“ eine Graphic Novel über Hamburgs Frühgeschichte veröffentlicht hat, mit viel erzählerischem und zeichnerischem Einfallsreichtum. Basierend auf Recherchen in mehreren Museen der Region und Besuchen an den architektonisch gut erhaltenen Orten der Handlung hat er ein realistisch wirkendes Setting entwickelt, in dem er seine cartoonhaft karikierten Figuren aufeinander loslässt.

Bei den Dialogen, die nach heutiger Alltagssprache klingen, sowie den Einzelheiten ihrer komplexen Beziehung hat er sich viel erzählerische Freiheiten genommen und seiner Fantasie freien Lauf gelassen. Er verankert seine Handlung aber fest in der historischen Realität, wie ihm zwei Fachleute vom Europäischen Hansemuseum in Lübeck in einem Vor- und einem Nachwort attestieren.

Eine weitere Seite aus „Der Kopf der Hanse“.

© Jens Natter/Edition 52

Halb Tragödie, halb Komödie

Natter verknüpft die Biografien von Wittenborg und Warendorp zu einem Drama, das zu etwa gleichen Teilen aus tragischen und komödiantischen Zutaten besteht.

Jens Natter bei der Arbeit.

© Jens Natter/Edition 52

Durch die sich überschneidenden wirtschaftlichen Interessen ihrer Väter und einige gemeinsame Schlüsselerlebnisse werden die beiden Hauptfiguren zu Freunden, deren Beziehung jedoch von Anfang an auch durch Spannungen geprägt ist. Nicht zuletzt durch ihre gemeinsame Liebe zur Tochter einer einflussreichen Lübecker Familie, die später Wittenborgs Frau wird. Je mehr dieser sich zum gnadenlosen Machtmenschen entwickelt, umso mehr distanziert sich Warendorp von ihm.

Eine verlorene Schlacht besiegelt sein Schicksal

Die verheerende Pest von 1349, der Wandel der Hanse vom Händlerbund zum norddeutschen Machtzentrum und ein eskalierender Territorialkonflikt der Hansestädte mit dem dänischen Königshaus bescheren Wittenborg einen rapiden Aufstieg. Die verlorene Schlacht von 1362 markiert dann den Wendepunkt, im Jahr darauf verurteilt ihn der Hansetag zum Tode.

In lebensnah klingenden, teils mundartlich-saloppen Dialogen lässt Natter diese Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf das Leben seiner Hauptfiguren lebendig werden. Durch eine kluge Farbdramaturgie verliert man trotz vielfacher Zeit- und Ortswechsel bei der Lektüre nie den Überblick. Unterschiedliche historische Phasen sowie die verschiedenen Lebensabschnitte der Hauptfiguren sind durch andere Kolorierungen klar erkennbar.

Besonders kreativ ist der Zeichner bei der formalen Gestaltung der Bildfolgen: Fast jede Seite hat ein anderes Layout, mehrfach nutzt Natter Gebäudefassaden, Fensterrahmen oder Elemente von Segelschiffen als Panels. Auch Alltagsgegenstände wie Heringsfässer, Weinkrüge oder Bettlaken werden hier zu Rahmen für einzelne Szenen. Das macht das Buch neben der spannenden Handlung auch visuell abwechslungsreich.

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