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Eine Szene aus der Graphic Novel „Greendale“.

© DC Comics

„Ich würde warten, bis die Hölle zufriert“: Wie Rock-Veteran Neil Young zum Comic-Autor wurde

An diesem Mittwoch wird Neil Young 80. Neben Dutzenden Rock-Alben und Hits wie „Heart of Gold“ und „Rockin’ in the Free World“ hat der Musiker auch eine Graphic Novel veröffentlicht.

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Der Teufel spielt Mundharmonika. Er trägt eine coole, rot-schwarze Cowboy-Kluft, kann durch Wände gehen und sieht mit seinem breiten Hut und den fetten Koteletten ein bisschen aus wie Neil Young in seinen jungen Jahren. Das ist hübsch selbstreferentiell, denn die Graphic Novel „Greendale“, in der der diabolische Mundharmonikaspieler sein Unwesen treibt, basiert auf einer Idee Youngs und wurde von dem Musiker zusammen mit einem professionellen Comic-Team geschaffen.

Am 12. November wird Young, der mit Hits wie „Heart of Gold“ und „Rockin’ in the Free World“ international Erfolg hatte, 80 Jahre alt. Dass zu seinem Oeuvre neben zahlreichen Songs der Genres Folk, Rock, Country und Grunge auch ein Comic gehört, dürfte nicht allen seinen Fans bekannt sein.

Am Anfang stand „Greendale“, das Konzeptalbum von 2003. Es folgten „Greendale“, die Tour, „Greendale“, der Film und „Greendale“, das Buch. 2010 kam dann „Greendale“, die Graphic Novel hinzu. In dem Buch, das 2013 auch auf Deutsch erschienen ist, werden wie in den anderen Werken die lose miteinander verbundenen Geschichten der Einwohner des titelgebenden, von Young erfundenen nordkalifornischen Städtchens erzählt.

Diabolisch. Eine zentrale Figur der Erzählung, hier zu sehen mit der weiblichen Hauptfigur, ist optisch dem Schöpfer von „Greendale“ nachempfunden.

© Panini

Gute Menschen, böse Mächte

Im Kern geht es darum, wie die Menschen dort ein gutes Leben im Einklang mit ihren Nächsten und der Natur leben wollen – und wie doch immer wieder böse Mächte ihnen einen Strich durch die Rechnung machen. So auch am Vorabend des Irakkriegs 2003, als das idyllische Leben in Greendale mal wieder aus der Bahn zu geraten droht.

Der Comic zum Album? Das klingt auf den ersten Blick wie ein weiterer kalkulierter Merchandising-Versuch à la Der Comic zum Blockbuster XY. Ist es aber nicht.

Traum und Wirklichkeit: Eine Seite aus dem Buch.

© Panini

„Greendale“ ist ein ziemlich eigenständiges, kunstvoll Traum und Wirklichkeit verknüpfendes, zwischen großer Politik und persönlichem Einfühlungsvermögen oszillierendes Werk. Und Neil Young hat hier – anders als bei manch anderen Comic-Adaptionen, die sich mit prominenten Namen schmücken – offenbar tatsächlich eine prägende Rolle bei der Erarbeitung des Comics gespielt.

Zwei Meister der Zunft – der Szenarist Joshua Dysart („Unknown Soldier“) und der Zeichner Cliff Chiang („Paper Girls“, „Human Target“, „Batman“) – haben in Zusammenarbeit mit dem Musiker aus den eher fragmentarischen Vorlagen Youngs eine große, faszinierende Comic-Erzählung mit Tiefgang gemacht.

Ich habe etwa anderthalb Jahre gebraucht, um Cliff Chiang zu bekommen.

Neil Young über seinen Wunsch-Zeichner für den Comic „Greendale“

Vor allem bei der Erarbeitung des Skripts hat Neil Young nach eigener Aussage eng mit Szenarist Dysart zusammengearbeitet. So haben es beide damals der „New York Times“ erzählt. Auch die Auswahl des Zeichners sei eine persönliche Entscheidung des Musikers gewesen: „Ich habe etwa anderthalb Jahre gebraucht, um Cliff Chiang zu bekommen“, sagte Young damals der US-Zeitung.

Nachdem ihm anfangs mitgeteilt worden war, dass Chiang vorerst keine Zeit für neue Aufträge haben würde, nahm Young die Sache selbst in die Hand. „Ich fand seine Website und schickte ihm eine E-Mail, in der ich ihm mitteilte, dass ich warten würde, bis die Hölle zufriert“, erzählte er der „New York Times“. Dass es unbedingt Cliff Chiang sein sollte, der seinen Comic illustriert, begründete Young damals mit dem „offenen, klaren Stil“ des Künstlers, den er sehr schätze.

Den meisten Austausch hatte Young aber nach eigener Aussage mit Dysart, wie auch der Szenarist damals der „New York Times“ erzählte: „Wann immer er in L.A. war, habe ich mich mit ihm getroffen“, sagte Dysart über die Kooperation mit Young. Es gab mehrere Runden, in denen die beiden das Skript des Buches gemeinsam überarbeitet hätten. Neil Young war aus Dysarts Sicht ein „phänomenaler Kooperationspartner“.

Eine Spur der Gewalt

Im Mittelpunkt des Comics steht, wie auch in einigen Songs des „Greendale“-Albums, eine junge Frau namens Sun Green, die ein inniges Verhältnis zur Natur und das Wesen eines Engels hat. Während ihre Regierung im Frühjahr 2003 unter fadenscheinigen Gründen einen Bombenkrieg auf ein Land am anderen Ende der Welt beginnt, sieht diese Sun Green, dass sich auch daheim etwas Unheilvolles zusammenbraut.

Der besagte diabolische Fremde taucht in Greendale auf und hinterlässt eine Spur der Gewalt. Allerdings bekommt kaum einer der Bewohner mit, wer hinter den Vorgängen steckt, lediglich Sun Green kann den Eindringling sehen – und nach einem harten Kampf mit weltlichen und überirdischen Mächten vorübergehend stoppen.

In den USA ist das Buch 2010 erschienen, in Deutschland drei Jahre später. Die deutsche Ausgabe aus dem Panini-Verlag ist inzwischen vergriffen, die englische Originalausgabe ist nach wie vor online und im Fachhandel erhältlich.

© Panini

Das ist durchaus plakativ und streckenweise kitschig, ebenso wie die manchmal sehr demonstrativen Verurteilungen von Krieg und Raubbau an der Natur. Aus „Greendale“ spricht, wie schon im Young’schen Original, ein schier unbegrenzter Idealismus seines Schöpfers. Dazu kommen esoterisch angehauchte Passagen, in denen die Frauen verschiedener Generationen in Gedanken miteinander kommunizieren, um sich gegen das Böse zu stellen.

Und trotzdem: Wer kein vollkommen abgebrühter Zyniker ist, dürfte sich von der dramatischen Handlung packen lassen und von dem Glauben an das Gute bewegt werden, der sich in Youngs Musik wie in diesem Comic wiederfindet.

Dysart und Chiang schaffen es mit ihrem klaren, aufgeräumten und doch Emotionen vermittelnden Zeichen- und Erzählstil, die handelnden Personen und ihre Motive gut herauszuarbeiten. Die von Dave Stewart kolorierten Bilderfolgen zeichnet ein verblasster Vintage-Look aus, der gut zur Story passt.. Vor allem durch die knappen Dialoge und die oft wortlose, sensibel vermittelte Interaktion zwischen den Hauptfiguren entwickelt die Geschichte eine Sogwirkung, der man sich schwer entziehen kann.

Nach und nach wird das Geheimnis, das Sun Green und vor allem die Frauen ihrer Familie umgibt, aufgedeckt. Während Tod und Verderben an Einfluss zu gewinnen scheinen, bekommen auch die durch Sun und ihre Ahnen repräsentierten Kräfte des Guten zunehmend Auftrieb. Am Ende erscheint ein Happy End zumindest denkbar.

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