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Eine Szene aus „Der Sommer, in dem Hikaru starb“.

© altraverse

Horror-Manga „Der Sommer, in dem Hikaru starb“: Mein Freund, der Dämon

„Der Sommer, in dem Hikaru starb“ erzählt von einer ungewöhnlichen Freundschaft und ist in Japan ein Bestseller. Jetzt erscheint der Horror-Manga auch auf Deutsch.

Yoshiki und Hikaru sind beste Freunde. Die beiden hängen ständig zusammen und verstehen sich beinahe ohne Worte. Bis zu dem Sommer, in dem Hikaru für eine Woche in die Berge fährt und als ein anderer wieder zurückkehrt.

Niemandem außer Yoshiki scheint etwas Ungewöhnliches aufzufallen, aber schnell wird klar: Hikaru ist tot und stattdessen ein Dämon in den Körper seines Freundes eingezogen. Womöglich hat es auch mit jenem Dämon zu tun, dass sich nach und nach die seltsamen Vorfälle in dem kleinen, verschlafenen Dorf häufen, in dem Yoshiki und Hikaru aufgewachsen sind. 

Eine Seite aus „Der Sommer, in dem Hikaru starb“.
Eine Seite aus „Der Sommer, in dem Hikaru starb“.

© altraverse

Der Horror-Manga „Der Sommer, in dem Hikaru starb“ (Übersetzung Anemone Bauer, altraverse, Band 1: 184 S., 10 €) ist in Japan ein bemerkenswerter Erfolg, der erste Band verkaufte sich innerhalb von drei Monaten mehr als 200.000 mal. Für den Zeichner Mokumokuren ist es sein erster als Serie erscheinender Manga. Wie er in einem Interview erzählt, hatte er die Idee zu der Geschichte vor vielen Jahren, als er selbst noch auf die High School ging.

Kunstvolle Horrorbilder

In atmosphärisch dichten Zeichnungen mit unterschiedlichen Grauschattierungen erschafft der Autor eine perfekte Horrorwelt, einige seiner Hintergründe muten an wie impressionistische Gemälde. Auch bei seinen Charakterzeichnungen beweist Mokumokuren ein Talent für wirkungsvolle Schattierungen - buchstäblich wie im übertragenen Sinn.

Eine weitere Szene aus dem ersten Band der Reihe.
Eine weitere Szene aus dem ersten Band der Reihe.

© altraverse

Kleinste Regungen vermag er gekonnt in die Mimik seiner Protagonisten einzubauen und manch faltiges Antlitz zieht seinen Schrecken aus eben diesem Talent für Feinheiten. Denn das Unheimliche in „Der Sommer, in dem Hikaru starb“ schimmert meist nur subtil hinter dem Vorhang des Alltäglichen hindurch, nur in wenigen Darstellungen zeigt es sich explizit.

Selbst in diesen Zeichnungen setzt Mokumokuren auf leisen und ästhetisch ansprechenden Grusel: düstere Wälder, zwischen deren Gehölzen einen Unbekanntes erwartet, der erschrockene Blick einer Dorfbewohnerin, die Unaussprechliches gesehen hat. Auch die Dämonen, so wir sie denn zu Gesicht bekommen, sind bei Mokumokuren weder hässlich noch entschieden böse, sondern wirken einladend und in ihrer eigentümlichen Schönheit seltsam anziehend. 

Bedrohlicher Alltag

Fast bedrohlicher erscheint zuweilen der normale Alltag der beiden Jugendfreunde: Im ländlichen Japan angesiedelt folgen wir Yoshiki auf seinem Schulweg, in sein Zuhause mit den streitenden Eltern oder in den örtlichen Lebensmittelladen, in dem sich die Inhaberin das Maul über das Privatleben anderer Dorfbewohner zerreißt.

Es ist in der Geschichte Hochsommer, doch den Protagonisten scheint stets eine melancholische Aura zu umgeben, eine Schwere, die ihn angesichts seiner trostlosen Umgebung niederzudrücken scheint. 

Das Titelbild des ersten Bandes der Reihe.
Das Titelbild des ersten Bandes der Reihe.

© altraverse

Die Geschichte der beiden Jugendlichen ist neben ihrem Mystery-Faktor vor allem auch eine über Außenseitertum in einer rückwärtsgewandten Gesellschaft.

Yoshiki und Hikaru bildeten mit ihrer innigen Freundschaft ein Bollwerk gegen die tratschende Mehrheit, die keine Abweichungen vom Traditionellen, Regulären duldet. Dadurch, dass Yoshiki als einziger Hikarus Veränderung wahrzunehmen scheint, bleibt zwar die exklusive Verbundenheit zwischen den beiden bestehen, erweitert sich aber um das Element der Unberechenbarkeit. Es ist nie klar, ob Yoshiki Hikarus Dämonen-Ich noch vertrauen kann - und was Vertrauen in diesem Fall überhaupt bedeutet. 

Mit dem Motiv der plötzlichen Charakteränderung einer vertrauten Person reiht sich „Der Sommer, in dem Hikaru starb“ in eine lange Manga-Tradition ein. Jüngste Beispiele aus dem Horror-Genre sind „Blood on the Tracks“ oder „My Home Hero“ und auch im 2013 auf Deutsch erschienenen Werk „Shi ki“ erscheinen vertraute Menschen plötzlich auf unberechenbare Weise verändert. Und nicht nur Werke aus dem Horror-Genre spielen mit dem Motiv - auch in Manga wie „Mushishi“ oder dem Shojo-Klassiker „Sailor Moon“ verändern sich Figuren unerwartet und immer wieder auch aufgrund dämonischen Einflusses.

Der Glaube an Naturgeister, tief verankert im japanischen Volksglauben, spielt auch in der traditionell geprägten Dorfgemeinschaft von Yoshikis und Hikarus Heimatort eine zentrale Rolle. Immer mehr scheint das Gewohnte den Menschen dort zu entgleiten und bald weiß niemand mehr, wem - oder was? - er oder sie trauen kann. Dieses Gefühl überträgt sich beim Lesen und erzeugt ein sich allmählich steigerndes, nicht unangenehmes Schaudern. Womöglich einer der Gründe, warum der Manga sein Publikum so nachhaltig fesselt. 

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