
© altraverse
Märchen-Action-Manga „Children of Grimm“: Mit Happy-End-Blasts gegen den bösen Wolf
In der Mangareihe „Children of Grimm“ verquirlt ein deutsches Duo japanische Genre-Vorbilder und europäische Märchen-Klassiker zu einer originellen Mischung. Der Auftakt ist vielversprechend.
Stand:
Der gutmütige, aber ungestüme Boy wäre gerne ein Held. Doch der Bäckersgehilfe aus Käppchendorf im Reich Spectasia muss noch viel lernen – über sich selbst, die Spielregeln der ihn umgebenden, einst von zwei Brüdern namens Grimm geschaffenen Märchenwelt, sowie die in ihm schlummernden übermenschlichen Kräfte, für die der bei einem Ziehvater lebende Junge keine Erklärung hat.
Optisch sieht Boy nicht wie eine klassische europäische Märchenfigur aus, eher wie der einst aus dem Weltall zur Erde gekommene Kämpfer Son-Goku, die mit einer stachelartigen Frisur ausgestattete Hauptfigur der japanischen Manga-Bestsellerreihe „Dragon Ball“. Wie bei diesem die magischen Drachenkugeln, spielen auch in Boys Leben mit mysteriöser Kraft aufgeladene Bälle eine besondere Bedeutung.
Die visuelle Ähnlichkeit ist kein Zufall: Die Mangareihe „Children of Grimm“ des bei Osnabrück lebenden Autors Aljoscha Jelinek und der bei Stuttgart lebenden Zeichnerin Blackii, deren erster Band jetzt beim Hamburger Verlag altraverse veröffentlicht wurde, ist eine Hommage an fernöstliche Genre-Klassiker des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts wie „Dragon Ball“, „Naruto“ oder „One Piece“.

© altraverse
Zugleich ist es eine Würdigung der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm und ihrer volkstümlichen Märchensammlung sowie anderer europäischer Genre-Klassiker wie „Reineke Fuchs“ oder „Hans und die Bohnenranke“, wie man sie so noch nicht gesehen hat.
In Käppchendorf leben Menschen und Märchenfiguren scheinbar friedlich nebeneinander. Doch als zwei aggressive Wolfsjungs und ein paar andere Bösewichte einen Kampf um das in einer Kiste verschlossene Erbe der Grimm-Brüder anzetteln, kommt es zu einem blutigen Kampf, bei dem auch Boys erwachende Superkräfte inklusive Kanonenkracher und Happy-End-Blasts eine wichtige Rolle spielen.

© altraverse
Zeichnerisch bietet „Children of Grimm“ ein breites Repertoire an etablierten Manga-Stilmitteln, die Blackii virtuos in den Dienst der turbulenten Handlung stellt: dramatische Speedlines, spektakuläre Perspektivwechsel, prägnante Soundwords, kinetische Kampf-Choreografien, abwechslungsreiches Panel-Layout und kontrastreiche Schwarz-Weiß-Zeichnungen mit Rasterschattierungen.
Ihr Stil changiert zwischen klaren, feinen Linien und breiten Strichen in expressionistischer Anmutung. Die Figuren werden teils heroisch überhöht dargestellt, in anderen Szenen eher semirealistisch-naturalistisch und dann immer wieder auch humoristisch-cartoonhaft reduziert.
Visuell dürfte das vor allem Leserinnen und Leser ansprechen, die mit den stilistischen Codes von Manga vertraut sind, vor allem denen des Shonen-Genres, das sich primär an eine jüngere männliche Zielgruppe wendet.

© altraverse
Aber auch ein eher westlich geschultes Comic-Publikum dürfte vertraute Elemente entdecken: Zu ihren stilistischen Einflüssen zählt Zeichnerin Blackii neben japanischen Vorbildern auch europäische Comic-Klassiker wie „Asterix“.
So abwechslungsreich wie der Zeichenstil sind auch die mit Action-, Horror- und Fantasy-Elementen angereicherte Handlung und der Erzählton von Jelinek. Die Dialoge sind flapsig, schnell und pointiert.
Trotz aller Überdrehtheit der Handlung, die durch viele humorvolle und ironische Szenen aufgelockert wird, ist doch immer auch die Wertschätzung der deutschen wie japanischen Vorbilder zu erkennen. Und die Charaktere machen bemerkenswerte Entwicklungen durch, zentrale Figuren gewinnen mit fortschreitender Handlung an Komplexität und lassen innere Kämpfe und Widersprüche erkennen.
Ergänzt wird die lineare Erzählung, die auf insgesamt fünf Bände angelegt ist, immer wieder durch Rückblenden, notizbuchartige Meta-Einschübe und Illustrationen, die teilweise durch originelle illustrative Ideen wie ein in den Plot integriertes Märchenbuch Teil der Handlung werden.
Und es kristallisiert sich im Laufe der an spektakulären Wendungen nicht armen Geschichte eine Botschaft heraus, die ernster ist, als man es zu Beginn vermutet hätte. Denn es geht beim Kampf um das Grimm’sche Erbe neben der von allen Beteiligten großzügig eingesetzten Muskel- und Zauberkraft im Kern darum, welche Weltanschauung sich durchsetzt: die vom Recht des Stärkeren oder die vom friedlichen Miteinander aller Lebewesen und dem Sieg des Guten am Ende. Angesichts der aktuellen Weltlage kann man das durchaus als politische Botschaft lesen.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: