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Eine Seite aus „Kaputt in der City“.

© Splitter

Matthias Schultheiss zeichnet Charles Bukowski: Der deutsch-amerikanische Albtraum

Mit seinen Bukowski-Adaptionen erwies sich Zeichner Matthias Schultheiss als Seelenverwandter des „Dirty Old Man“. Jetzt erscheint der Klassiker erstmals in Farbe.

Von Bela Sobottke

Charles Bukowski: Der „Dirty Old Man“ der amerikanischen Underground-Literatur. Unverblümt, brutal, zynisch, lyrisch. Bei ihm wird der Tellerwäscher nicht zum Millionär, sondern endet im Rinnstein.

Matthias Schultheiss: In der Comicszene hat er einen ähnlichen Stellenwert wie Bukowski in der Literatur. Auch seine Geschichten zeigen die Welt in all ihrer Verderbtheit, auch er ist in der Lage, wie kaum ein zweiter die Schönheit im Schmutz zu finden.

Jeder, der mal von Schultheiss‘ alkoholgeschwängerten Erlebnissen auf der Reeperbahn oder in den USA gehört hat, der gelesen hat, wie Schultheiss mit Lambert kommuniziert, als wäre dieser nicht die von ihm für „Die Haie von Lagos“ erdachte Comicfigur sondern sein innerer Dämon, hat keinen Zweifel, dass Schultheiss und Bukowski Brüder im Geiste sind.

Eine Seite aus „Kaputt in der City“.
Eine Seite aus „Kaputt in der City“.

© Splitter

Als der 1920 im rheinland-pfälzischen Andernach geborene Bukowski im Mai 1978 seine Deutschland-Lesung in der Hamburger „Markthalle“ absolvierte, sagte er gegen Ende der Veranstaltung: „Ihr wisst, ich stamme aus Deutschland. Jetzt bin ich wieder hier, weil ich einiges geschrieben habe. Für mich ist das wie ein Wunder.“ Nacherleben kann man seinen denkwürdigen Auftritt im Dokumentarfilm „Charles Bukowski in Hamburg“ von Thomas Schmitt.

Es ist nicht überliefert, aber ich möchte mir vorstellen, dass im Publikum ein junger Matthias Schultheiss saß (geboren 1946 in Nürnberg, Studium und Leben in Hamburg) und sich entschloss, diese schöne Geschichte des wiedergekehrten Sohnes fortzuschreiben, besser gesagt: fortzuzeichnen.

Anfang der 80er arbeitete Schultheiss als Loader am Flughafen und zeichnete in den Pausen an der Comicversion von insgesamt acht Bukowski-Kurzgeschichten. Er zeichnete um sein Leben, denn sein Debütcomic „Trucker“ hatte nicht den gewünschten Erfolg gebracht; er strichelte, was das Zeug hielt, kein Millimeter ohne Schraffur, das ähnelte den frühen Arbeiten von Mœbius und Bilal. Sein malerischer Stil, den wir von seinem Hauptwerk kennen, sollte erst noch entstehen.

Architektonisch durchdachte Seitenkompositionen: Eine weitere Szene aus „Kaputt in der City“.
Architektonisch durchdachte Seitenkompositionen: Eine weitere Szene aus „Kaputt in der City“.

© Splitter

Auch bei der Seitenaufteilung ließ Schultheiss sich den prekären Arbeitsbedingungen zum Trotz nicht lumpen und lieferte alles andere als schnelle Dutzendware. Architektonisch durchdachte Seitenkompositionen, wenn beispielsweise die Panels schräg gesetzt sind und damit der räumlichen Perspektive der New Yorker Hochbahn folgen, wechselten sich mit ineinanderfließenden Illustrationen ab, bei denen die Bilderrahmen gesprengt oder komplett weggelassen wurden.

1984 erschien das Ergebnis seiner Bemühungen in zwei schwarzweißen Bänden bei Heyne: „Der lange Job“ und „Kaputt in der City“.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.
Das Titelbild des besprochenen Bandes.

© Splitter

Für die Neuveröffentlichung im Sammelband beim Bielefelder Splitter-Verlag, ebenfalls „Kaputt in der City“ betitelt (160 S., 35 €), hat Schultheiss seine alten Seiten neu koloriert. Sinnvollerweise hat er nicht übermäßig viele Farbverläufe und Effekte eingesetzt, sondern relativ flächig gearbeitet: „Die Zeichnungen sind schon mit Schwarz-Weiß-Strich durchmodeliert und Farbe ist so, wie auf ein Auto „Auto“ zu schreiben“, erklärt Schultheiss.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Wenn beispielsweise die Figur Henry Beckett morgens überraschenderweise goldgelb mit grünen Tupfen aufwacht, dann wird das in der alten Ausgabe nur behauptet, in der neuen auch gezeigt. Blut ist rot. Ein Abstecher nach New Orleans leuchtet schimmernd-feucht. Überhaupt, nächtliche Lichter in Kneipen und Großstädten, flirrende Hitze in der Wüste, das alles wirkt mit dem Einsatz von Farbe stimmungsvoller und lebendiger.

Man bekommt den Eindruck, Bukowski wird durch Schultheiss erst komplett. Schultheiss lässt dort Text weg, wo die Zeichnungen selbsterklärend sind, an anderen Stellen entwickelt Bukowskis Prosa beflügelt durch die Zeichnungen ihre volle Wucht. Der Zynismus wird noch erschreckender, die Wärme dahinter noch anrührender. Bukowski und Schulheiss: Das ist der deutsch-amerikanische Albtraum, das ist die sprichwörtliche Faust aufs Auge.

Unser Autor Bela Sobottke ist Grafiker und Comiczeichner und lebt in Berlin. Er veröffentlicht provokante aber warmherzige Genre-Comics wie „Die Legende von Kronos Rocco“.

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