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Dunkle Welt. Eine Szene aus „Bezimena“.

© Avant

#MeToo im Comic: Mit dem Blick des Täters

Nina Bunjevac erzählt in ihrem Buch „Bezimena“ von sexualisierter Gewalt - und provoziert ein Unbehagen, das nicht nur mit dem Thema zu tun hat.

Wer die Lektüre von „Bezimena“ (avant, 224 S., 30 €) mit dem Nachwort beginnt, wird den Comic ein bisschen besser verstehen. Darin schildert die kanadische Autorin Nina Bunjevac („Vaterland“), wie sie wiederholt zum Opfer sexueller Gewalt wurde.

„Bezimena“ ist nicht die autobiografische Rekapitulation dieser Erfahrungen, wohl aber ein Produkt der Traumata.

Aus der Obsession wird ein Wahn

Bezimena bedeutet in den meisten slawischen Sprachen „namenlos“, erklärt ein Hinweis, der vor der Erzählung platziert ist. Die Namenlosen, das ergibt die Kombination der beiden rahmenden Paratexte, sind all diejenigen, die in ihrem Leben Opfer sexueller Übergriffe wurden.

Wie spätestens seit #MeToo bekannt, sind das die allermeisten Frauen. Ob den Namenlosen mit diesem Comic eine Identität gegeben wird, ist eine andere Frage: Bunjevac erzählt aus der Perspektive des Täters.

Benny entwickelt bereits als Kind eine Obsession für seine Mitschülerin Becky; im Erwachsenenalter wird daraus regelrechter Wahn. Ein zufälliges Wiedersehen versteht er als Einladung, seine lang gehegten Fantasmen nicht mit, sondern an ihr und anderen Frauen auszuleben.

[Ein ausführliches Interview mit Nina Bunjevac gibt es hier]

Die resultierenden Comic-Bilder sind verstörend. Sie zeigen Bennys Übergriffe nicht bloß, sondern sie ästhetisieren sie.

Eine Doppelseite aus „Bezimena“.
Eine Doppelseite aus „Bezimena“.

© avant

Rohe Gewalt wird durch kreuzschraffiertes Holzschnittdesign kunstvoll verfremdet; für den Täter ist es ja keine. Neben dem Stil sorgen das Setting und eine mystisch-mythologische Rahmenhandlung für weitere Verfremdungseffekte.

Zu viele Kunstgriffe

Die Geschichte spielt – so suggerieren es Matrosenanzüge und Jahrmarktattraktionen – in längst vergangenen Zeiten. Die künstlerische Eloquenz ebenso wie die Dichte psychoanalytisch lesbarer Metaphern und vor allem der Paratext führen dazu, dass „Bezimena“ mit einer Fülle von Ebenen aufwartet. Pornografie ist hier nicht Selbstzweck, nachgedacht wird im Subtext auch über die Banalität des Bösen.

Das Titelbild der deutschen Ausgabe von „Bezimena“.
Das Titelbild der deutschen Ausgabe von „Bezimena“.

© avant

Dennoch: Die Lektüre hinterlässt ein Unbehagen, das nicht (nur) mit dem Thema zu tun hat, sondern mit der Umsetzung.

Vielleicht sind das schlicht zu viele Kunstgriffe: demonstrativ dekonstruierte Comic-Ästhetik, Symbole im Überfluss, mythologischer Überbau, der voyeuristische Täterblick und das Enigmatische als ständiges Leitmotiv. Rätselhaft bleibt vieles; was haften bleibt, ist Bennys Blick. Und das ist nicht der der Namenlosen.

Marie Schröer

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