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Held mit menschlichem Antlitz: Eine Seite aus Lee Bermejos und John Arcudis Superman-Episode.

© Panini

Superhelden-Comics: Größer als das Leben

Der Prachtband „Wednesday Comics“ ist eine Hommage an die Glanzzeit des Zeitungs-Comics. Das Prestigeprojekt besticht durch prachtvoll illustrierte Erzählungen – manche Künstler scheinen allerdings von dem Format überfordert.

Der amerikanische Zeitungscomic besitzt große historische Bedeutung für das Medium Comic. Ohne Kenntnis des zeitgeschichtlichen Hintergrunds erscheint dies heute nur noch schwer nachvollziehbar. Die Geburt des Comics als Zeitungsbeilage ging mit dem technologischen Fortschritt und der Revolution der Drucktechnik einher. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ermöglichten der aufkommende Mehrfarbdruck und die fortschreitende Mechanisierung der Schriftsatzarbeit bei verhältnismäßig geringem Aufwand das Drucken hoher Zeitungsauflagen.

So entstanden als zusätzlicher Kaufanreiz Farbbeilagen mit Bildergeschichten, die unter anderem auf ein Einwanderer-Publikum abzielten. Oft waren die Leser der neuen Landessprache nicht vollständig mächtig. Zudem waren sie von Kunstgenüssen wie Malerei und Literatur weitestgehend ausgeschlossen. Die farbigen Sonntagsbeilagen wirkten da wie ein Segen, besaß doch der Kinofilm bei weitem noch nicht den Massenappeal späterer Jahre. Eine weitere große Rolle spielte auch die selbstbestimmbare Lesegeschwindigkeit. Teile der anvisierten Zielgruppe spiegelten sich auch in den damals publizierten Serien wider, seien es nun „Hogan´s Alley“ (ab 1895) und „Yellow Kid“ (ab 1896) von Richard F. Outcault oder Rudolph Dierks „The Katzenjammer Kids“ (ab 1897). Deren Protagonisten waren oft arm und bedienten sich einer rüden Sprache. Und „The Katzenjammer Kids“ konzipierte gar ein deutschstämmiger Einwanderer selbst.

Die begabtesten Künstler ihrer Zeit

Mit dem Anbruch des zwanzigsten Jahrhunderts wandelten sich Inhalte und Niveau: Es gab Serien wie Winsor McCays „Little Nemo“ (ab 1905), worin Bezug auf Sigmund Freuds Traumanalyse genommen und so ein Bogen zu George Herrimans „Krazy Kat“ (ab 1913) geschlagen wurde. „Krazy Kat“ flirtete hemmungslos mit dem Surrealen und erinnerte dabei in seiner grotesken Absurdität oft an Werke von Samuel Beckett. Ein „an Verrücktheit grenzende(r) Surrealismus“ zeichnete laut Andreas C. Knigge auch Chester Goulds „Dick Tracy“ (ab 1931) aus, der erstmals im Comic Krimi-Themen aufbereitete. Exotischere Schauplätze hielten einhergehend mit inzwischen abenteuerlicheren Geschichten Einzug und etablierten Serien wie Milton Caniffs „Terry and the Pirates“ (ab 1934), deren Schauplatz vornehmlich in den Regionen des pazifischen Ozeans angelegt war. Drei der herausragenden Vertreter des amerikanischen Abenteuer-Zeitungscomics der 1930/40er Jahre waren aber vor allem „Flash Gordon“, „Prinz Eisenherz“ und „Tarzan“. Die titelgebenden Figuren wurden von den begabtesten Künstlern ihrer Zeit in Szene gesetzt: Alex Raymond, Hal Foster und Burne Hogarth.

Opulent: Der Sammelband hat XXL-Format, hier eine Coveransicht.
Opulent: Der Sammelband hat XXL-Format, hier eine Coveransicht.

© Panini

Das Aufkommen der Comic Books, die in kleinformatigeren Heften populäre Zeitungscomics zusammengefasst nachdruckten, läutete das nahende Ende des Zeitalters der großen Abenteuer-Comic-Serien in den Zeitungen ein. 1938, nach dem Erscheinen von „Action Comics“, das mit Jerry Siegels und Joe Shusters Superman den ersten Superhelden präsentierte, begann die überwiegende Dominanz dieses Genres am amerikanischen Comic-Markt, die bis heute andauert. Die Zeitungen druckten verstärkt nur mehr komische Strips wie Chic Youngs „Blondie“ (1930) oder Charles M. Schulz´ „Peanuts“ (1950) ab.

Mehr als ein halbes Jahrhundert später entschloss sich dann ausgerechnet der Verlag DC Comics, bei dem „Action Comics“ übrigens heute noch erscheint, zu einem Revival des abenteuerorientierten und großformatigen Strips in Fortsetzungen. Im Juli 2009 erschien die erste von zwölf Ausgaben der „Wednesday Comics“, die in Zeitungsseitengröße wöchentliche Fortsetzungsabenteuer ihrer Aushängeschilder Superman, Batman und Wonder Woman - nebst denen anderer Figuren - präsentierten. Gestaltet wurden diese von einigen der talentiertesten Künstler der jüngeren Comic-Geschichte.

Bei einem derartig aufwändigen und prominent besetzten Prestige-Projekt bot sich natürlich eine Zweitverwertung durch eine gesammelte Ausgabe an. Daher veröffentlichte DC 2010 eine überformatige Hardcover-Ausgabe, die gegenüber der Originalserie in etwas verkleinerter Form daherkam, dafür aber um zwei Bonusgeschichten erweitert wurde.

Welche Zeichner und Autoren dem Format am besten gewachsen sind, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Flott erzählt: Eine Seite aus Joe Quiñones' und Kurt Busieks Green-Lantern-Erzählung.
Flott erzählt: Eine Seite aus Joe Quiñones' und Kurt Busieks Green-Lantern-Erzählung.

© Panini

Formatwechsel: Zwei Seiten im Vergleich.
Formatwechsel: Zwei Seiten im Vergleich.

© Promo

Insgesamt zeigt sich, wie eindrucksvoll Comics in dieser Größe wirken können. Allerdings fällt ebenso auf, dass nicht alle Künstler den speziellen gestalterischen Anforderungen eines derartigen Formats gewachsen sind. Auf ganzer Linie weiß hier „Kamandi – Der letzte Junge auf Erden“ zu überzeugen, den Ryan Sooks mit realistisch-idealisierendem Stil in großer Nähe zu den bereits erwähnten Klassikern inszeniert. Unterstützt durch ein Script von „Watchmen“-Zeichner Dave Gibbons, der die Vorbilder aus der Blütezeit der Zeitungscomics ohne ironische Brechung völlig ernst nimmt, entsteht so eine prachtvolle und gelungene Hommage an längst vergangene Zeiten.

Dem Format gerecht wird auch Zeichnerlegende Joe Kubert. Bei„Sergeant Rock“, einer 1959 von ihm mitentwickelten und lange zeichnerisch betreuten Kriegscomicfigur, gestaltet Kubert seine Panels durchweg rechteckig. Er erreicht so einen sehr statisch wirkenden Aufbau und erinnert dadurch an Seitenarrangements, die den Zeitungscomic über einen größeren Zeitraumhinweg prägten. Mit wenigen, fast skizzenhaften Strichen bringt er die jeweilige Bildaussage exakt auf den Punkt. Eine fehlende Tiefe bei der Charakterisierung der Figuren verhindert jedoch die vollständige Identifikation des Lesers mit Sergeant Rock und seiner Easy Company. Da hat man von Kubert schon Besseres gelesen, beispielsweise „Fax aus Sarajevo“.

Recht gelungen kommt DCs bereits angesprochene Geschäftsgrundlage „Superman“ daher, den Lee Bermejo grafisch fulminant im Stil von Renaissance-Gemälden anlegt und nebenbei nur dem Medium Comic eigene Verfahrensweisen demonstriert. Der Plot von „Die Maske“-Autor John Arcudi rückt dabei die menschliche Seite des Stählernen in den Vordergrund, was dieser Geschichte eine äußerst humane Note verleiht.

Manche scheitern auf ganzer Linie

Kollege Batman, zweites Standbein des Verlags, wird von Brian Azzarello betreut, der den Leser zuerst mit Klischees provoziert, um dann im Finale alles umzukehren und dem Fledermausmann einen Spiegel vorzuhalten. Eduardo Risso ist ein guter Zeichner, sein reduzierter Strich mit karikaturistischem Einschlag vor detailarmen Hintergründen wird dem Format aber leider nicht richtig gerecht – Heftmaterial.

Auch Supergirl wirkt wie eine auf Übergröße aufgeblasene Heftserie, aber Amanda Conners dem Cartoon verwandte und plastische Bildgestaltung glänzt genauso wie Jimmy Palmiottis humorvolles Script im Stil Aesopscher Fabeln. Die „Teen Titans“ und „Deadman“ scheitern dagegen auf ganzer Linie. Gerade Deadman, dem von kreativen Teams wie Bob Haney, Robert Kanigher und Neal Adams sowie Mike Baron und Kelley Jones in der Vergangenheit hervorragende Behandlung widerfuhr, verliert durch Dave Bullocks an Michael Allred und Darwyn Cooke angelehnten Retro-Look ungemein. So gesehen passt dieser dann schon wieder zu dem uninspirierten Script von Co-Autor Vinton Heuck – alles schon mal dagewesen, nur besser. Und die Teen Titans von Eddie Berganza und Sean Halloway wirken genauso beliebig wie der sich an Anime anbiedernde Zeichenstil.

Trickfilm-Ästhetik und Meta-Ebenen

„Green Lantern“ bietet ebenfalls dem Trickfilm entliehene Ästhetik, die von Joe Quiñones mit Retro-Elementen verquickt wird. Sieht aber nett aus, ist von „Astro City“-Autor Kurt Busiek flott erzählt und somit passabel.

Eine vielversprechende Kombination: Neil Gaiman und Michael Allred stürzen sich als Spezialisten für Freak-Figuren auf „Metamorpho, the Element Man“. Gaiman hatte bereits in seiner „Sandman“-Serie das Schicksal von Element Girl aufgegriffen, jedoch auf Grund des dort vermittelten Frauenbildes einiges an Kritik einstecken müssen. In Gaimans „Wednesday Comics“-Beitrag blitzen zwar immer wieder gute Einfälle auf, so die Jagd durch das Periodensystem der Elemente mit den Gaiman üblichen Genreverweisen wie dem auf die britische Comic-Serie „Strontium Dog“, aber so richtig Fahrt aufnehmen will die Geschichte nicht - trotz Allreds gewohnt flotter Zeichnungen im Retro-Pop-Art-Stil.

Die „Metal Men“, ebenfalls etwas freaky, ein guter Zeichner mit elegantem und schwungvollem Strich aus der 1970er Schule wie José Luis Garcia-Lopez, der seinen Platz zu nutzen weiß - und dann als Autor DC-Mitherausgeber Dan DiDio. Machen wir es kurz: DiDios bisher beste Arbeit war der kürzlich erfolgte Neustart sämtlicher DC-Serien, um neue Leser zu gewinnen...

Karl Kerschls Flash-Feature teilt sich den Platz mit Subserien einzelner Protagonisten wie Flashs Ehefrau Iris West und seiner Nemesis Gorilla Grodd auf, die aber den Hauptstrang der Handlung aufnehmen. So entsteht eine Weiterführung der Seitenaufteilung von Alex Raymonds Flash Gordon-Seite, auf der sein Jungle Jim - als allerdings unabhängige Nebenserie - oberhalb des Hauptfeatures mitlief. Autor Brenden Fletcher ist auch Musiker, der hier verschiedene Stimmen zu einem Kanon verbindet. In einem Finale mündend, das die „Peanuts“, „Blondie“ und „Modesty Blaise“ leicht verfremdet zeigt bzw. covert, zitiert man noch einmal prägende Zeitungsstrips. Viele Metaebenen inklusive Zeitungskreuzworträtsel, aber alles stringent zusammengeführt - und von dem äußerst talentierten Karl Kerschl grafisch ansehnlich und vor allem mit rasantem Strich umgesetzt, wie es einer Serie gebührt, die vom schnellsten Menschen der Welt handelt.

Komplett: 204 Seiten hat der Prachtband, er kostet 69 Euro.
Komplett: 204 Seiten hat der Prachtband, er kostet 69 Euro.

© Panini

Kyle Bakers „Hawkman“ bietet gelungene exzentrische Stilistik mit Fotomontagen im Stil von Comic-Innovatoren wie Jack Kirby oder Jim Steranko. Als etwas enervierend erweist sich allerdings die ständige Wilder-Mann-Pose des geflügelten Kämpfers mit der Mentalität eines Hackbratens. Paul Popes „Adam Strange“ nutzt den Mann-auf-zwei-Planeten-Effekt und gestaltet eine Remineszenz an „John Carter of Mars“ und dessen Schöpfer, den Tarzan-Erfinder Edgar Rice Burroughs. Die überzeugt durch ihre Kolorationen in Pastelltönen sowie wilden Strich und ist überdies schön getuscht. Wirkt wie ein marsianischer Fiebertraum.

Walter Simonson hat mit „The Ballad Of Beta Ray Bill“ einige der wohl besten „Thor“-Hefte geschrieben und gezeichnet. Sein Script zu „The Demon & Catwoman“, von Brian Stelfreeze großflächig und kantig bis undetailliert hingezeichnet, wirkt aber einfach nur lust- und ideenlos und ertrinkt in billigen Soft-SM-Klischees.

Als Bonus gibt es „Plastic Man“ von „Milk and Cheese“-Autor Evan Dorkin und dem Spezialisten für Comics im Stil der Funny Books, Stephen DiStefano, sowie den „Creeper“ von DC-Allzweckwaffe Keith Giffen mit beeindruckend düster-grauschwarzen Bildern von Eric Canete. Daran anschließend folgt noch interessantes Material mit Skizzen und Entwürfen, selbst von den Logos der Serie, und nicht zu vergessen - das komplette Kreuzworträtsel aus der Flash-Story zum selbst Lösen!

Was würde Gloria Steinem sagen?

Höhepunkt und vielfach missverstanden zugleich ist aber sicherlich Ben Caldwells Wonder Woman-Beitrag. Die sträflich von DC vernachlässigte Heroine, die immerhin zu den drei Vorzeigefiguren des Verlagshauses gehört, musste schon einiges hinnehmen. So gibt es keinen Spielfilm mit ihr, was bisher nur männlichen Figuren wie Superman und Batman vorbehalten blieb. Eine geplante Verfilmung wurde trotz renommierter Unterstützung durch Buffy-Mastermind Joss Whedon auf Eis gelegt, stattdessen lässt man lieber einem Held der zweiten Reihe wie Green Lantern den Vortritt. Und zu guter Letzt musste sich die Amazone beim kürzlich erfolgten DC-Neustart eine veränderte Herkunftsgeschichte ins Stammbuch schreiben lassen: Sie hat nun Zeus zum Vater und wurde nicht mehr von ihrer Mutter aus Lehm geformt – was würde wohl US-Frauenrechtlerin Gloria Steinem davon halten, ein bekennender Fan der ersten weiblichen Superheldin?

In den Informationen zu den einzelnen Künstlern findet man ausgewählte Kommentare zu Ben Caldwells Wonder Woman-Beitrag: Das geht von „hat den kompletten Sinn des Formats verfehlt“ und „unglaublich schlechtes Storytelling“ über „eine präzise Kombination aus LSD, Kokain und pulverisierten Disney-Filmrollen“ bis hin zu „eines der kühnsten Experimente in der Geschichte des Mainstream-Comics“. Denn sehr exzentrisch nutzt Caldwell die ihm zur Verfügung stehende Seitengröße, allerdings macht sich hier denn auch die Größendifferenz zum ursprünglichen Seitenformat der Einzelausgaben von fast 5 Zentimetern bemerkbar: Die zwischen Vertikale und Horizontale wechselnde Anordnung der einzelnen Strips und die mitunter daumennagelgroßen Panels büßen durch die Verkleinerung stark an Lesbarkeit ein. Das innovative Seitenarrangement zeigt deutlich, dass Bildgröße und Breitwandoptik nicht zwingende Voraussetzungen für eine gelungene Gestaltung großer Seitenformate sein müssen.

Denn trotz all der gelungenen Hommagen und dem nostalgischem Flair, etwas wirklich radikal Neues hat sich nur Caldwell getraut. Die verkleinerte Form der Panels und die Auflösung der Seitenarrangements wirken nicht nur wie ein Kommentar auf den allgegenwärtigen Trend zur Formatverkleinerung der Schnittstellen zwischen Konsument und Medium (Stichwort „Thumbnails‘“ Kinofilme via Handy, Seitenarrangements aktueller Serien wie Francis Manapuls „Flash“ oder J H Williams III „Batwoman“, deren Komplexität auf digitalen Endgeräten nicht voll befriedigend darstellbar ist), sondern sind eine Fortführung der fortschreitenden Verschränkung von Wort und Bild innerhalb moderner Kommunikation, die der Zeitungscomic als erstes modernes Masssenmedium bewusst zu nutzten wusste. Auch die den Leser zuerst irritierenden gegeneinander laufenden Stripabfolgen sind wie Kommentare zu einem immer vielfältigeren und intensiver auf uns einprasselnden Dateninformationsstrom, indem man sich fortlaufend neu orientieren muss.

Und daher ist es auch besonders erfreulich, dass Caldwell dieses den Leser fordernde Experiment mit einer Figur wie Wonder Woman durchführen konnte: Die kämpferische Amazone war schon 1941 als erste weibliche Superheldin dem Zeitgeist um Längen voraus.

Neil Gaiman, Kurt Busiek, Dave Gibbons u.a.: Wednesday Comics, 204 Seiten, Panini, XXL-Format, 69 Euro, limitiert auf 999 Exemplar, Verlags-Website hier.

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