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Stan Lee auf einem Archivbild aus dem Jahr 2011.

© imago/ZUMA Press / imago stock&people

Superhelden mit menschlichen Schwächen: Vor 100 Jahren kam Comicautor Stan Lee zur Welt

Spider-Man, Hulk, Iron-Man - Stan Lee schuf Superhelden mit Selbstzweifeln und privaten Problemen, die in Comic und Kino eine gigantische Karriere machten.

Von
  • Alexander Matzkeit
  • Philip Dethlefs, dpa

Stan Lee (1922- 2018) hat die Geschichte seines eigenen Erfolges im Laufe seines Lebens so oft erzählt, dass sie selbst zu einer Art Superhelden-Story geworden ist: 1961 erhielt er von Martin Goodman, Inhaber des maroden Verlags Marvel Comics, den Auftrag, eine Idee des Rivalen DC Comics zu klauen: DC hatte seine beliebtesten Figuren zu einem Team zusammengeschlossen, der „Justice League of America“. Stan Lee zerbrach sich tagelang den Kopf, bis er vier Figuren erfunden hatte, von denen er fand, dass sie als Team funktionieren würden. Er nannte sie „Fantastic Four“, die fantastischen Vier.

Das Comic-Heft, das er gemeinsam mit dem Zeichner Jack Kirby entwickelte, war ganz anders als die „Justice League“ der Konkurrenz. Die vier fantastischen Helden verhielten sich nicht sehr heldenhaft, sie stritten sich ständig und hatten die Dynamik einer dysfunktionalen Familie. Diesen Ansatz - Superhelden mit menschlichen Schwächen - machte Lee zur erfolgreichen Marvel-Formel. Damit veränderte er das US-amerikanische Comicgeschäft für immer.

Der Durchbruch gelang Stan Lee Anfang der 1960er Jahre. Im Sommer 1962 erscheint in der 15. Ausgabe des Comic-Hefts „Amazing Fantasy“ eine bunte Kurzgeschichte mit der Figur des Spider-Man, die anders ist als alles, was es bis dahin im Comic gegeben hatte.

© Marvel

Gemeinsam mit Steve Ditko erschuf er Spider-Man, einen Superhelden, der in Wirklichkeit ein unsicherer Oberschüler ist und sich ohne Maske mit Noten, Liebeskummer und Familienstress herumschlagen muss. Es folgten der Hulk, ein Wissenschaftler mit Wutproblem, außerdem Thor, ein gehbehinderter Arzt, der zum Gott des Donners wird, sowie Iron Man, ein Millionär mit Todesangst, und schließlich Dr. Strange - ein arroganter Chirurg, der magische Kräfte verliehen bekommt. Auch die „X-Men“, von der breiten Gesellschaft angefeindete Mutanten, hat Lee mit erschaffen.

Vor 100 Jahren, am 28. Dezember 1922, wurde Stan Lee in New York geboren.

Der Sohn jüdischer Immigranten aus Rumänien - sein Geburtsname war Stanley Lieber - wollte ursprünglich Romane schreiben. 1939 begann er als Hilfskraft bei Timely, der Comic- und Groschenheft-Abteilung, die später Marvel werden sollte. Als Autorennamen nahm er Stan Lee an - angeblich, um seinen realen Namen für Größeres aufzusparen.

Lee schrieb für Comics wie „Captain America“ und wurde mit 19 Jahren Chefredakteur von Timely. Von dieser Position aus musste er zunächst dem Niedergang des Comic-Hefts an den Zeitungsständen der USA zusehen, bevor seine Ideen den Markt in den 60er Jahren wiederbelebten.

Lee blieb Chefredakteur, bis er 1972 selbst zum Verleger aufstieg. In dieser Zeit etablierte er sich auch als Sprachrohr des Verlags gegenüber den Fans. „Bullpen Bulletins“ wurden die Seiten der Hefte genannt, in denen er auf die Briefe der Leser antwortete und Anekdoten aus der Redaktion erzählte. Sich selbst inszenierte er als irrwitzigen Zirkusdirektor. In seiner Kolumne etablierte er geflügelte Worte wie „Nuff said (etwa: „Genuch gesagt“) und seinen Schlachtruf „Excelsior!“. Sich selbst verlieh er den Spitznamen Stan „The Man“ Lee.

Mit Blumen und Kerzen nahmen Fans 2018 auf dem Hollywood Walk of Fame Abschied von Stan Lee.

© Mario Anzuoni / REUTERS

Ab 1980 zog Lee, immer schon zu gleichen Teilen Autor und Verkäufer, nach Hollywood. Er hatte die Hoffnung, die Marvel-Figuren in anderen Medien zu vermarkten - was ihm mit Ausnahme einer „Hulk -Serie nicht gelang. Erst in den späten 90er Jahren begann das Superhelden-Kino zu boomen. Zunächst mit den „X-Men“-Filmen ab 1999, dann mit „Spider-Man“ (2002) und seinen Fortsetzungen. Nach Marvel Studios’ „Iron Man“ (2008) wurden die Filme des Marvel Cinematic Universe schließlich zum dominanten Popkultur-Franchise der 2010er Jahre.

Lee war zu diesem Zeitpunkt längst in die Rolle des Ehrenvorsitzenden aufgestiegen. Seine kleinen Auftritte in jedem Film, der auf einem Marvel Comic basiert, zementierten seine neue Bedeutung als eine Art Maskottchen des Verlags, der seit 2009 zu Disney gehört. Sie unterstrichen auch seinen Ruf als genialer Onkel mit getönter Brille und Schalk im Nacken, den er bereits in den 60ern etabliert hatte. Die grauen bis weißen Haare trug er stets streng nach hinten gekämmt.

Stan Lee konnte den Erfolg seiner Schöpfung bis zum Schluss genießen - auch wenn er mehrere Gerichtsverfahren mit seinen Künstlern über die Rechte an den gemeinsam geschaffenen Charakteren führte und seine 2002 gegründete Firma POW! Entertainment zahlreiche geschäftliche Fehlschläge landete.

Comic-Veteran: Stan Lee wurde mit fortschreitendem Alter mehr und mehr zum Maskottchen des Marvel-Universums.

© dpa

Stan Lee starb am 12. November 2018 im Alter von 95 Jahren, knapp anderthalb Jahre nach seiner Frau Joan, mit der er 69 Jahre verheiratet gewesen war.

Anlässlich des runden Geburtstags findet in Los Angeles eine Gala zu seinen Ehren statt. Marvel Comics würdigt den ikonischen Kreativkopf schon seit Wochen in zahlreichen Rubriken auf seiner Website. So wird an einige von Lees beliebtesten Geschichten erinnert - und an seine witzigen Gastauftritte in den Comics. In einer Ausgabe der von ihm erfundenen „Fantastischen Vier“ von 1963 werden Lee und sein Kollege Jack Kirby als ungeladene Gäste nicht auf die Hochzeit von Reed Richards und Susan Storm gelassen.

In Deutschland ist passend zum 100. das Buch „Stan Lee“ aus der Reihe „Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“ erschienen. Autor Eric Hegmann erzählt auf knapp 120 Seiten in kurzweiligen Anekdoten aus dem Leben und der Karriere des Comic-Schöpfers und räumt mit Irrtümern auf. So war Stan Lee, anders als oft angenommen wird, niemals Eigentümer von Marvel Comics. Er musste sogar klagen, um seinen Anteil am Erfolg zu bekommen.

An weiteren Büchern über das Comic-Genie mangelt es nicht. Nach seinem Tod erschienen Biografien von Bob Batchelor („Stan Lee: The Man behind Marvel“) und Abraham Riesman („True Believer: The Rise and Fall of Stan Lee“).


Geradezu überwältigend ist der mächtige Bildband „The Stan Lee Story“, den der ehemalige Marvel-Chefredakteur Roy Thomas noch zu Lebzeiten von Stan Lee mit dessen Beteiligung produzierte. Die auf 1000 Exemplare limitierte Erstausgabe aus dem Taschen-Verlag wog mehr als 12 Kilo, war von Lee persönlich signiert worden und kostete 5000 Euro. Sie ist aber längst ausverkauft.

Mittlerweile ist „The Stan Lee Story“ in einer etwas handlicheren Ausgabe erschienen, die mit 600 Seiten aber immer noch stattlich ist. Anhand von Illustrationen und privaten Fotos zeichnet sie Stan Lees beeindruckende Karriere nach. Es war eines der letzten Projekte der Popkultur-Ikone.

Auf der Marvel-Website steht zu einer neuen Comic-Zeichnung von ihm: „100 Jahre und er inspiriert uns alle immer noch.“ (dpa/epd)

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