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Schöpfer und Zerstörer: Eine Szene aus „Ein tugendhafter Vater“.

© Edition Moderne

Kunst-Comic „Ein tugendhafter Vater“: Unser Vater, der Diktator

In der Graphic Novel „Ein tugendhafter Vater“ erzählt Ludovic Debeurme vom Albtraum einer mutterlosen Kindheit unter der Herrschaft eines übermächtigen Vaters.

Der Buchtitel in schönster Schreibschrift und die zarte Farbstiftzeichnung vom Vater, der die Söhne durch das Gartentor zum Haus geleitet, könnten den Eindruck einer freundlichen Familiengeschichte erwecken. Trotz des großen Gartens hinter dem Haus, in das die drei Kinder - zwei Jungs und eine kleine Gestalt mit großer Kapuze und überlangen Ärmeln, deren Gesicht nicht zu erkennen ist - mit ihrem Vater ziehen. Das Grauen lauert schon hier, auf dem Cover von „Ein tugendhafter Vater“, als unbestimmtes Gefühl, dass etwas auf diesem Bild nicht stimmt.

Die Handbewegung des Vaters gleicht der eines Hirten, der sein Vieh in den Stall scheucht. Die Figuren sind starr, der lange Bart des riesenhaften Vaters, seine klobigen Schuhe und Hände, sein Mantel in SS-Optik transportieren Widersprüchliches. Die Kinder sehen aus wie kleine Erwachsene - oder wie Männer in Kindergestalt?

Gleich nach Aufschlagen des Bandes erscheint ein zweites Cover: In großen Antiqua-Lettern, der Schrift, die die Nationalsozialisten ab 1940 als alleinige „deutsche“ Schrift versuchten durchzusetzen, springt dem Leser der Buchtitel auf in Holzoptik geprägtem Papier ins Gesicht. Es folgt eine fantastisch-bedrückende Horrorgeschichte.

Dubiose Geschäfte entsetzliche Strafen

In der 2015 auf Französisch und kürzlich auf Deutsch erschienenen Graphic Novel „Ein tugendhafter Vater“ (aus dem Französischen von Christoph Schuler, Edition Moderne, 160 S., 29,80 €) des französischen Zeichners Ludovic Debeurme erleben die drei Protagonisten den Albtraum von Kindheit - ein Antimärchen vom Ausgeliefertsein an eine dominante Übermacht.

Von Künstlerhand: Eine Szene aus „Ein tugendhafter Vater“.
Von Künstlerhand: Eine Szene aus „Ein tugendhafter Vater“.

© Edition Moderne

Bird, eines der drei Kinder, ist der Erzähler der Geschichte. Er erhält seinen Spitznamen, als er einen kleinen Vogel rettet, der ihn fortan begleitet. Bird beschreibt, wie der Vater im Alkoholrausch unberechenbar und gefährlich wird. Er ist in dubiose Machenschaften verstrickt, die ihn dazu gezwungen haben, mit den Kindern die Heimat zu verlassen. Geheimnisvolle Männer bringen einen Koffer, dessen Inhalt der Vater fortan verkaufen soll.

Die Kinder müssen ihm helfen - und sind ansonsten weitgehend auf sich gestellt, erst recht, als der Vater verreist. Verborgen bleibt ihm trotzdem nichts. Als Birds Bruder Twombly mit einem Mädchen erwischt wird, bestraft der Vater ihn auf entsetzliche Weise.

Anklänge an Diktatoren und Heilige

Die Orte tragen keine Namen, die Landschaft ist nur angedeutet, die Mutter abwesend. Die Umstände sind desolat und von Einsamkeit geprägt. Unter der Herrschaft ihres Vaters erhalten sich die Geschwister ihre Menschlichkeit durch den Zusammenhalt untereinander. Debeurme stellt den Vater mit Anklängen an diverse Diktatoren aus dem 20. Jahrhundert dar: Hitler, Stalin, Mussolini, Mao Zedong.

Eine weitere Seite aus „Ein tugendhafter Vater“.
Eine weitere Seite aus „Ein tugendhafter Vater“.

© Edition Moderne

Gleichzeitig finden sich Bezüge aus der christlichen Ikonografie, in der der Vater als Heiliger erscheint, wie er wohl sich selbst nach seiner „Kreuzigung“ oder der „Kreuzabnahme“ sieht. Wie eine Wiederauferstehung gibt es auch bei ihm den Übergang zu seiner neuen Persönlichkeit als mächtiger Wanderprediger. Für die Kinder, noch immer hoffend auf väterliche Liebe, beginnt jetzt die wahre Odyssee.

Die extreme Körperlichkeit erinnert an die Deformationen bei Charles Burns („Black Hole“). Die reduzierten Zeichnungen auf weißem Grund sind sehr durchdacht. Debeurme arbeitet enorm sorgfältig. Dass er Gitarrist in einer Band ist und sein Spiel auch mal mit Django Reinhardt verglichen wird, überrascht nicht. Er achtet auf jedes Detail, überlässt nichts dem Zufall.

Drei Helden und ein Bösewicht

Die Bewegungen der Figuren wirken wie eingefroren, ihre Mimik ist - außer beim wütenden Vater - emotionslos. Die daraus entstehenden statischen Szenen erinnern an Wandbilder aus der Zeit des Sozialistischen Realismus oder an Werke der Leipziger Schule - in ihrer bizarren Entrücktheit vor allem an die Bilder von Neo Rauch.

Das Titelbild des besprochenen Buches.
Das Titelbild des besprochenen Buches.

© Edition Moderne

Die Sicht des Kindes auf die Ereignisse macht diese noch furchtbarer. Sie werden erzählt wie ein Märchen, mit fantastischen Wesen, drei Helden und einem Bösewicht. Die Kinder versuchen, sich von dem Vater zu befreien, doch er kommt stets zurück - immer noch größer und furchteinflößender. Sie dagegen wachsen nicht. Sie bleiben klein, ewig abhängig, an den Riesen gebunden. Im Märchen strebt alles auf eine Erlösung zu, hier nur auf eine ungewisse Zukunft.

Rettung durch Fantasie

Wie in „Ein tugendhafter Vater“ die zarten Farben andeuten mögen, scheinen auch klassische Kinderreime aus dem vergangenen Jahrhundert erst freundlich und wohlmeinend. Doch das Kinder-Kulturgut aus der Zeit ist durchsetzt von Grausamkeit und den Ideen der sogenannten schwarzen Pädagogik. Struwwelpeter, Hans-guck-in-die-Luft und der Suppenkasper müssen die schlimmsten körperlichen Folgen ihres Handelns erleiden. Das Ziel von Erziehung war Gehorsam, der Schlüssel dazu die Angst vor Strafen: Das Mädchen, das mit den Streichhölzern spielt, muss verbrennen, die Quälgeister Max und Moritz werden durch die Getreidemühle gedreht und an die Enten verfüttert.

In der Psychologie wurde mehrfach untersucht, wie sich die frühe Demütigung eines Kindes in Form von körperlichen und psychischen Strafen durch die Eltern auswirkt. Unter anderen bezog sich die Psychologin Alice Miller auf die möglichen Folgen von Erziehung auf Gewaltherrschaften und ihre Diktatoren.

So fügt Debeurme mehrere Themen zusammen: Kindheit und Erziehung, Macht und Unterdrückung. Und wie entkommt man, wenn es kein physisches Entkommen gibt? Durch Fantasie. Das Wundersame kommt den Kindern zur Hilfe. Dagegen erscheint der Gottesglaube des Vaters als Legitimation für Gewalt und Gleichschaltung aufgesetzt und endlich.

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